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Czernowitz, 2. Juni 2007
Dobre Den,
auch der schönste Aufenthalt muss einmal zu Ende gehen und so kehrte ich L'viv
mit meinem Drahtesel den Rücken, um auf Entdeckungstour in der Ukraine genauer
gesagt in Galizien zu gehen. Denn dieses riesige Land ist aus vielen
verschiedenen Regionen zusammengesetzt und diese haben oftmals soviel gemein
wie Bayern und Ostfriesland. Galizien ist eine Region, die mittlerweile
zwischen Polen und der Ukraine geteilt ist. Diese Region war bis auf ein Jahr
nach dem ersten Weltkrieg nie unabhängig. Seine Blüte hatte Galizien, als es
zum Habsburger Reich der Österreicher gehörte, also bis zum 1. Weltkrieg. Aus
dieser Zeit ist auch der Grossteil der Bausubstanz in L’viv noch zu bestaunen -
und der Palatschinken, die Sachertorte und der Kaffee schmecken auch noch im
21. Jahrhundert extrem gut. Aber wie gesagt, irgendwann musste mal Schluss sein
mit dem Genießen, der Völlerei und ich wollte nun endlich das Land mit dem Rad
entdecken.
Ein letztes Mal quälte ich mich den Kessel von L’viv auf dem unebenen
Kopfsteinpflaster empor und war verwundert, dass ich gleich auf die richtige
Ausfallstrasse gelangt war. Mittlerweile bin ich des kyrillisch Lesens einigermaßen
mächtig und die Beschilderung außerhalb von L'viv ist auch tatsächlich äußerst
akkurat. Das ist eine interessante Begebenheit in diesem Land, denn es pendelt
permanent zwischen 1. und 3. Welt hin und her:
Die Strassen ändern ihr Gesicht etwa sooft wie dies eines Mainz 05 Fans während
einem Spiel. Mal ist alles perfekt und ein paar Minuten später befindet man
sich wieder in der totalen Depression. Die Straßen sind oft ein Flickenteppich
sondergleichen, der eher an eine mit Aufnähern überzogene Fan-Kutte erinnert,
als an ein Transportweg, der die Beförderung von Waren und Personen einwandfrei
garantieren soll. Manche Hinweise muss man auch erst mal richtig
interpretieren, wie bspw. Zweige, die aus einer riesigen Pfütze rausragen. Dies
bedeutet: Achtung hier fehlt der Kanaldeckel... Zum Glück hatte ich diese
bizarren Warnhinweise bereits einmal im trockenen Straßenzustand vorher
gesehen. Meine liebste Freundin auf der Strasse war die Spurrille. Dies
befindet sich meist ca. 30 Zentimeter vom Randstreifen Richtung Fahrbahnmitte
und ragt in gewellter Form bis zu 20 Zentimeter in die Höhe. Auf diesem
Abschnitt kann ich dann relativ beruhigt Rad fahren, da diese Rillen von den
Autofahrern immer gemieden werden. Rechts des Randstreifen franst die Strasse
wie ein von Mäusen angeknabberter Keks aus, so dass ich dort unmöglich fahren
kann. Manchmal weiche ich allerdings auf den Schotter noch etwas weiter rechts
aus, weil der Teerzustand am Straßenrand noch schlechter für das Weiterrollen wäre
als der unbefestigte Untergrund. Von daher träume ich meist von den herrlichen
Straßenzuständen in Südostasien.
Ich glaube, dass die sog. 2. Welt sich tatsächlich dadurch zeigt, dass sie
viele Teile der ersten bereits adaptiert hat, aber oftmals dies mit Dingen oder
Gewohnheiten der sog. 3. Welt kombiniert wird: Der Geldwechsel, früher in
Osteuropa durch Zwangsumtausch ein Horror, geschieht hier ganz einfach an
Geldautomaten, die es etwa so häufig hier gibt, wie bei uns
Zigarettenautomaten. Auf die Cash-Maschinen wird sogar auf Verkehrsschildern
(Bankomat aber in Kyrillisch) hingewiesen. Außerdem gibt es überall
Geldwechselstellen, so dass die monetäre Versorgung mit der lokalen Währung
Hryvnia tatsächlich theoretisch prima ist. Aber viele Geldautomaten sind
kaputt, einige akzeptieren die Karte einfach nicht und manche haben nicht genug
Geld im Automat...
Oder das Geschäftemachen. Es gibt den besten Lavazza-Kaffee, die leckersten
Torten etc. aber nicht zum Frühstück außerhalb des Hotels, denn morgens ist die
Ukraine noch am schlafen. Die Cafes machen erst um 10.00 Uhr auf. Eine
Frühstückskultur existiert nicht. Das macht den Start in den Tag in diesem Land
zum Horror, wenn ich mir Brot, Käse und Wasser vom Vortag als Frühstück im
Zimmer hineinziehen muss, um genügend Kalorien fürs Radeln zu sammeln, da mein
Hotel keine Lust hat Frühstück anzubieten. Das Wort "Service" ist
hier eine chamäleonartige Definition: Manches Personal lebt noch zu Zeiten von
Hammer und Sichel und ist Meister im Übersehen, Dösen und Nichtbeachten. Aber
viele Ukrainer sind sehr um mein Wohlbefinden bemüht. Das ging bei Vitaly, Bed
and Breakfast Besitzer, Fremdenführer und fließend Deutsch sprechender
Kosmopolit soweit, dass er mir einen riesigen Rabatt aufs Übernachten gab, da
er es einfach schön fand, dass ich sein Land erradele.
Das Übernachten in den gewöhnlichen Hotels ist wieder eine andere Geschichte.
Hostels gibt es nur in ein paar Städten und Hotels sind nur ab ca. 30 Euro die
Nacht zu ergattern. Den Hotel-Standard gerade mit Südostasien zu vergleichen,
wäre der reinste Horror. Die Aufgänge und Bauten protzen nur so von Grandeur,
aber die Zimmer sind mit Rausch-TV und oft ohne WC ausgestattet. Aber alles ist
wenigstens sauber und darauf kommt es mir ja am meisten an. Oftmals habe ich
den Eindruck, dass es an einem Ort immer noch nur ein Hotel gibt, das dann etwa
soviel Gäste empfangen kann, wie unser Bruchwegstadion. Der Typ Homo Sapiens
Turisticus wurde wohl in der Sowjetunion ebenfalls zwangskollektiviert - alle
Touris in die eine Bettenburg alias Hotel-Kolchose. Und dann gibt es dort noch
die besondere Jobbeschaffung. Eingecheckt wird an der Rezeption. Dort erhalte
ich dann einen Zettel mit dem Stockwerk drauf. Die nicht gerade
vertrauenserweckenden Aufzüge lasse ich links liegen und hechele mit dem Gepäck
die pompösen Treppen hinauf. In meinem Stockwerk angekommen sitzt dann im günstigsten
Fall eine Babuschka und händigt mir gegen Vorlage des Zettels den Schlüssel
aus. Willkommen in der Sowjet-Bürokratie!!!
Das Internet ist auch so eine Sache. Mal DSL, mal Modem aus der Generation 0.0
analog, so dass das Schreiben hier auch manches Mal zum Abenteuer wird, da die
Computer kurz vor dem Abstürzen sind - aber Flachbildschirm und Funkmaus, das
muss schon sein. Tja und eben gerade ist die Internetverbindung total
unterbrochen und alles bisher geschriebenen mal wieder verschwunden. "This
is Ukraine" sagt mein Nachbar im Internetcafe und was soll ich da noch antworten...
Und dass es in diesem Land extrem Reiche gibt, die zum Teil mit der S-Klasse aus
der Meisterstadt oder monströsen US-Hummer-Vehikeln durch die Gegend düsen und
extrem Arme, die mit Kutschen über Land zuckeln, ist uns ja bereits zur Genüge
bekannt. Man bedenke nur, dass wir uns in Deutschland über Schalke 04 (zu
Recht) aufregen, da die jetzt das Geld von der russischen Gazprom in den
Hintern geblasen bekommen - aber hier bekommt der Club Schachtjor (deutsch
Kumpel) Donetsk einfach mal vom reichsten Mann der Ukraine ein Stadion für 200
Mio. US-Dollar hingestellt - um dem Rivalen Dynamo Kiew Paroli zu bieten. Ha,
aber Schachtjor hat zum Glück gerade das Pokalfinale gegen Kiew verloren. Hihi
diese Werksvereine kriegen es zum Glück auch hier nicht auf die Reihe, wie bei
uns der VfL Golfsburg und die Pillendreher aus Leverkusen.
Das Radeln über die Landstrasse von L’viv nach Ivano-Frankivsk war relativ
anstrengend, da die Ukraine nicht flach sondern sehr hügelig ist. Damit war
aber auch die Landschaft sehr schön anzusehen. Es ging an Wiesen und Wäldern,
kleinen mäandernden Bächen und an Viechern aller Art entlang nach Süden.
Irgendwann musste ich dann mal Mittagessen. In einem kleinen Ort kam ich in die
Kneipe mit null Ukrainisch Kenntnissen. Aber irgendwie einigten die Bedienung
und ich uns auf einen Eintopf. In meinem Reiseführer fand ich dann auch das
Wort für Schweinefleisch, das ich in dem Eintopf wieder finden wollte. Es
wurden mir noch ein paar kulinarische Vokabeln an den Kopf geworden und ich
antwortete der Einfachheit halber mit "da da da" heißt "ja, ja,
ja". Nach und nach kamen dann ein deftiger Eintopf, Schweinegeschnetzeltes
und Kartoffelbrei auf den Tisch. Ich hatte einfach alles bestellt und platzte
fast nachdem ich alles aufgegessen hatte. Sind die Hotelpreise gesalzen ist das
Essen extrem günstig und somit war dieses "All U can order and eat"
auf ukrainisch finanziell verkraftbar.
Unterwegs auf der Strasse läuft das Leben wie in Südostasien ab. Überall gibt
es kleine Tante Emma Läden, die IMMER auf haben. Dort kann ich Kekse, leckere
Schokolade, Säfte und Wasser kaufen. Die Ukraine hat eine unübersichtliche
Auswahl an leckerem Sprudel. Das Brot ist entweder ein Laib Weizen oder Roggen
und ähnlich gut wie in Deutschland tja und das Bier ist mit 0,30 Euro sehr
kundenfreundlich preislich platziert. Überall ist dieser Stoff zu bekommen. Bspw.
am Kiosk als Wegbier, was gerade die amerikanischen Peace Corps Volunteers, die
hier überall 2 Jahre Sozialdienst leisten, in Verzückung versetzt, da es in den
USA undenkbar wäre. Und es wird überall von allen konsumiert. Die ukrainische
Fahne besteht aus den Farben Hellblau und Goldgelb die für das fruchtbare
Getreide, das hier wächst und den blauen Himmel stehen sollen. Ich würde eher
sagen sie stehen für Gerstensaft und den Gemütszustand mancher ukrainischen
Bewohner. Die oft nassen Boeden der Kneipen sind auch weniger einer übereifrigen
Reinemachefrau zu verdanken als vielmehr den Suffnasen, die permanent
schwankend wankend ihr Wodkagläschen verschütten. Die Torkelnden finde ich
nahezu ausschließlich in der Kneipe wo sie relativ friedlich ab und zu das
Geschirr zerdeppern aber anscheinend werden sie in solchem Zustand nicht mehr
auf die Strasse gelassen, denn dort ist mir noch niemand entgegen gefallen.
Eigentlich gibt es dabei doch leckere Speisen, um eine Grundlage zu schaffen.
Varenyky sind mein absoluter Energiespender. Dies sind so eine Art Maultaschen
mit Hüttenkäse gefüllt und werden mit Sauerrahm serviert. Oder Reibekuchen mit
Fleisch gefüllt und mit Sauerrahm serviert. Oder Banosch: Das ist so eine Art
Polenta als kleine Pyramiden mit...Sauerrahm serviert oder Borscht. Das ist DIE
Speise in der Ukraine. Nein, sagt man hier, Borscht ist ukrainisch, nicht
polnisch, nicht russisch! Diese Rote-Beete-Suppe wird mit was serviert? Logisch
mit Sauerrahm und ist sehr sehr lecker. Es gibt wohl über 300 Rezepte die Suppe
zusammenzustellen aber immer mit... Und für Karnivoren gibt es leckere, zarte Hähnchenbrust
sowie Schaschlik mit was serviert? Ihr könnt es Euch ja denken...
Auf der Fahrt nach Ivano-Frankivsk bin ich dann auch der globalisierten Krönung
begegnet. Denn in einem Kiosk wurde ich von den Damen gleich mal auf einen
Kaffee eingeladen. Dieser stammt von Jacobs. Das Produkt heißt hier allerdings
Monarch und die Leute kippen das Pulver direkt ins Glas hinein. Das Resultat
schmeckt dann wie ein türkischer Mokka und weder diesen noch die Krönung hätte
ich irgendwie in der ukrainischen Pampa erwartet. Nachdem ich bereits über acht
Stunden am Radeln war, zog dann das mittlerweile täglich einsetzende Gewitter
auf und ich bin der Sowjetzeit mal wieder dankbar gewesen. Alle paar Kilometer
existieren Bushaltestellen mit einem schönen Dach zum Unterstellen. So wartete
ich den Platzregen mit ein paar radelenden Zeitgenossen in der Haltestelle in
trockenem Zustand ab, während die Jungs aus ihrem Handy "Offspring"
dudeln ließen, was natürlich exakt meinem Musikgeschmack entsprach.
Zweiradfahrer sind mit seit dieser Begegnung eigentlich kaum noch aufgefallen.
Es gibt hier keine Mofas und eigentlich auch keine Proleten die wie bei uns auf
den Käffern damit herumgurken. Überhaupt habe ich hier noch keine ätzenden
Typen ausmachen können. Die meisten Menschen beachten mich nicht weiter. Manche
Bierrunde am Straßenrand grölt irgendetwas mir hinterher, was sich aber nicht
aggressiv anhört. Manche zücken ihr Photohandy und machen ein paar Schnappschüsse
aber sonst radele ich meist ungestört über das Land.
Nach 140 Kilometern erreichte ich Ivano-Frankivsk und ich fragte mich, wie man
seine Stadt einfach mal so nach einem der zwei Volkshelden der Ukraine benennen
kann. Ivano Franko schrieb in seinen Büchern bis zu seinem Tod 1916 über die Missstände
in der Ukraine und landete dadurch zeitweise im Knast. Um die Ukrainer zu besänftigen,
die seit dem Ende des 2. Weltkriegs in der Sowjetzeit für eine unabhängige
Ukraine zu kämpfen, schleimten die Sowjets sich 1962 ein und benannten
Stanislaviv einfach um. Es ist wohl die einzige Stadt in der ehemaligen
Sowjetunion, deren Umbenennung auch heute noch besteht. Wenn unser Mohamed
Zidan in der Winterpause dann von Hamburg wieder zu uns wechselt, weil er den
Hub Stevens nicht so wie den Kloppo herzen darf, könnten wir uns das ja auch
mal überlegen. Dann müssten wenigstens bei uns die Nummernschilder nicht
ausgetauscht werden.
Die Stadt hat mich in ihrem Aussehen wie L'viv überrascht, denn das Zentrum war
ebenfalls mit seinen Häusern aus der Habsburgerzeit sehr attraktiv. Nur der
gigantische Flachbildschirm auf dem Marktplatz auf dem Freddie Mercury
"The show must go on!" sang, dieser passte in dieses österreichische
Flair nicht ganz so hinein. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung fuhr ich weiter
nach Süden in das Karpaten-Gebirge hinein. Immer öfter begegnete ich
Pferdefuhrwerken und die Kühe erinnerten mich an ihre Artgenossen in Indien. Schließlich
blockierten sie seelenruhig die Strassen und grasten überall herum: im
Vorgarten, im Wald, am Fahrbahnrand. Werden in anderen Ländern Hunde Gassi geführt,
übernimmt hier die Kuh dieses Ritual. Die Alten nehmen den Vierbeiner oft an
die Leine und wandern mit ihm durch Pampa. Hunde streunen hingegen im
gepflegten Zustand immer quer durch die übrigens sehr sauberen Innenstädte.
Im Gewitterregen erreichte ich dann mein nächstes Etappenziel - einen
Wintersportort mit Skisprungschanze. Dass man hier im Winter Ski fahren kann,
war mir vor dieser Reise auch nicht bewusst, aber als ich am nächsten Tag bei
der Besteigung des höchsten Berg der Ukraine Schneewechten sah, war ich doch
davon überzeugt, dass dies wohl möglich ist. Zum Ausgangspunkt meiner Wanderung
musste ich ein Taxi nehmen. Anders als in allen anderen Ländern dieser Welt,
musste ich auf ein Taxi warten. Taxifahrer haben hier den angenehmen
Verhaltenskodex Touris nicht permanent anzulabern, ob sie denn nicht ein Taxi bräuchten.
Nachdem ich eine halbe Stunde im Dorf gewartet hatte, sprang ich in die Strasse
und hielt den alten klapperigen Golf an. Der Fahrpreis war fair und fest -
allerdings nicht das Boxenkabel. Dieses musste erst vor der Fahrt noch mal
richtig mit den Lautsprechern verbunden werden, so dass mir beim Start fast die
Ohren mit "Evanescence" davonflogen. Danach gab es auf der halbstündigen
Fahrt ukrainischen Rap zu hören. Heruntergelassene Bahnschranken sind hier nur
zum Slalom üben im Sommer da und ruckzuck war ich am Fuße der Hoverla
angelangt.
Mit zwei Ukrainern die ich auf der Strecke traf, liefen wir die knapp 1.000 Höhenmeter
diesen Hügel hoch, der aber doch immerhin 2.060 Meter über dem Meer trohnt.
Gesehen haben wir anfangs nichts, da wir total in den Wolken und im Platzregen
marschierten. Irgendwann hatte Petrus ein Einsehen und es bot sich dann doch
noch ein schöner Blick auf die Hügelkette der ukrainischen Karpaten. Beim
Abstieg musste ich unwillkürlich an Malaysia denken, denn der Weg verlief sich
wieder im Unterholz. Meine ukrainischen Gefährten wollten querfeldein gehen,
doch ich ging mit ihnen wieder hinauf und fand schließlich den eigentlich gut
markierten Weg wieder. Hier wäre es mir eindeutig zu ungemütlich gewesen, mal
wieder zwei Nächte unfreiwillig am Bergbach zu nächtigen. Die Jungs
revanchierten sich mit der Mitnahme in ihrer Skoda-Limousine zurück ins Kaff
und ersparten mir 20 Kilometer Rückmarsch.
Am folgenden Tag rollte ich dann über zwei Pässe durch die Berge weiter nach
Osten. Dieses Gebiet wird auch als Wald-Karpaten bezeichnet und stellt einerseits
den Mittelpunkt Europas dar und andererseits eines der größten zusammenhängenden
Waldgebiete des Kontinents. Mich erinnerte das Ganze vor allem an das Münstertal
im Schwarzwald. Allerdings rennen da die Mädels sicherlich nicht in so
aufreizenden Klamotten durch die Gegend. In jedem Dorf waren die Kinder und
Jugendlichen in trachtenähnlichen Uniformen an diesem Tag gekleidet. Allerdings
gehen Röcke bei Trachten und Schuluniformen normalerweise doch deutlich über
das Knie hinaus. Ich kam mir vor, als ob ich 110 Kilometer lang durch ein frühes
Brittney Spears Video gefahren wäre mit diesen etwas zu beinbetonten Miniröckchen.
Später erfuhr ich, dass der 31. Mai der letzte Schultag im Schuljahr ist und
daher die Kids so rausgeputzt waren. Hm andere Länder andere Sitten...
Die Strassen in den Karpaten sind sicherlich mit die schlechtesten auf unserem
Kontinent. Zum Teil fehlt auch mal die Hälfte der Strasse oder sie ist mit Kies
bedeckt. Beim Ruckeln auf den letzten drei bis vierhundert Kilometern muss dann
eine Schraube sich gelockert haben. Auf jeden Fall gab es plötzlich einen Knall
und ich merkte, dass etwas in die Hinterradspeichen kam und das Rad blockierte.
Irgendwie konnte ich den Drahtesel noch lenken und stoppen. Dann merkte ich
dass die eine Hinterradtasche abgeflogen ist. Aber ich hatte dieses Mal
wirklich riesiges Glück: Die betroffene Speiche war nur etwa lädiert. Ich zog
sie fest und damit war dieser Radteil wieder repariert. Um die Schraube zu ersetzen,
nahm ich eine halbwegs überflüssig vom Hinterradreflektor, da meine Taschen
auch Reflektoren hatten und so war die Tasche in fünf Minuten wieder auf dem
ebenfalls verbeulten Gepäckträger wieder angebracht und ich konnte weiterrollen.
Mittlerweile bin ich in Czernowitz (Cernivci) am Ostrand der Karpaten
eingetroffen. Dies ist das Tor zu einer neuen Region Europas: der Bukovina.
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