Mainz, 24. März 2019
Wart Ihr
schon mal in unserem Fanhaus? Ich habe keine Ahnung, was sich die
geistigen Mütter und Väter des Fanhauses vorgestellt hatten, als
sie auf die Idee kamen, so etwas in Mainz aufzubauen. Aber vielleicht
kommt das, was an dem Freitag, 10 Tage vor Rosenmontag, im Fanhaus
ablief, dem recht nahe.
Während im
Barbereich das Freitagabendspiel zwischen Werder und dem VfB lief,
referierte ein Fußballfan aus Syrien über die Fankultur seiner
Heimat. Der Raum war voll von Menschen, die ihm gebannt mehr als zwei
Stunden lang ohne Pause zuhörten. Das Publikum war vielleicht genau
die Mischung, die den Fanhaus-Macher*innen vorgeschwebt hatte, als
sie sich auf die Suche begaben, eine (neue) Heimat für Nullfünfer
zu finden und diese schließlich am Alten Rohrlager der Stadtwerke in
der Weisenauer Straße unweit des Stadtparks fanden. Viele junge
Leute aus der Fanszene gaben sich an dem Abend ein Stelldichein, aber
auch Zuhörer*innen, die sicherlich nicht 90 Minuten im Stehblock die
Fahne schwenken oder eine Auswärtsdauerkarte besitzen strömten
hinein. Genau solch einen Platz gab es in unserer Stadt bisher nicht
wirklich. Kneipen existieren natürlich auch in unserem Städtchen
zur Genüge. Bei Locations für Vorträge wird das ganze schon etwas
überschaubarer. Die Kombination aus Fußballkneipe und Kulturangebot
findet sich aktuell wohl wirklich nur im Kick N‘ Rush, der
Fankneipe unseres Fanhauses.
Viele von uns
sind an dem Abend vielleicht zum ersten Mal einem Menschen aus Syrien
begegnet. Er erzählte uns seine Geschichte und warum er den Schritt
in die Öffentlichkeit mit seinem Vortrag gewagt hatte: Beim
Smalltalk mit Fremden kommt oft das Gespräch zum Stocken, wenn er
erzählt, dass er aus Syrien stammt. Das stimmt mich nachdenklich.
Vielleicht erreicht er tatsächlich ein unverkrampfteres Miteinander,
wenn er uns über den Fußball in seiner Heimat berichtet.
Natürlich
existierte Syrien bereits vor dem Bürgerkrieg, der mittlerweile vor
fast acht Jahren begann. Aber viele von uns hatten das Land vorher
gar nicht auf dem Schirm. Ich hatte das Glück, das Land 1995
besuchen zu dürfen. Mir gefiel es dort so gut, dass ich gleich im
Jahr darauf wieder nach Syrien fuhr, um weitere Teile des Landes und
der Region zu entdecken. Da meine Freunde und ich wenig Geld hatten,
boten uns die syrischen Hoteliers immer wieder einen Platz für unser
Zelt auf dem Dach für ein, zwei Mark an. Überall wurden wir zum Tee
eingeladen und eine solche Gastfreundschaft ist mir persönlich
außerhalb der Region nur im Iran widerfahren. Seit der damaligen
Reise von Mainz nach Syrien auf dem Landweg und weiter bis nach
Kapstadt sind in den letzten 24 Jahren unzählige weitere Reisen
hinzugekommen. Nur aus Mainz bin ich nie weggezogen. Mainz ist meine
Heimat und so sehr ich das Reisen schätze, so sehr liebe ich es,
zurück in unser Städtchen zu kommen, zur Familie, zu
Sandkastenfreunden, Fußballbekanntschaften und um unser weltoffenes
Flair zu genießen, das unsere Stadt wirklich besonders macht und das
ja auch ein Teilergebnis der Fanbefragung ist, wie sich viele von uns
Mainz 05 vorstellen.
Damals 1995
auf der Reise von Mainz nach Kapstadt wohnten wir der Eröffnung des
ersten McDonald’s Rumäniens in Bukarest bei. Den letzten
McDonald’s auf der Reise durch Afrika überhaupt fanden wir in
Kairo. Coca-Cola gab es in Syrien gar nicht. Starbucks war damals
vollkommen unbekannt. Jedes besuchte Land war tatsächlich anders und
oft stellten die Länder große Hürden auf, damit wir sie überhaupt
besuchen konnten. Wir verbrachten fast eine Woche damit, in Kairo ein
Visum für Eritrea zu ergattern. In Äthiopien mussten wir unseren
Reisepass als Pfand hinterlegen, damit wir ja wieder ausreisten etc.
Internet gab es nicht. Blogger natürlich auch nicht. Auch Ultras gab
es 1995 in Deutschland erst in wenigen Ecken der Republik.
Heute ist die
Welt ein großen W-LANd, es gibt e-Visa, TripAdvisor, AirBnB und der
Kaffee bei Starbucks schmeckt in Südamerika genauso wie in Thailand.
Wenn ich durch Fußgängerzonen laufe, begegne ich überall denselben
Ketten und Labels. In den Gästeblöcken der Republik gibt es fast
immer das gleiche Angebot an Speis und Trank. Vieles ist in unserer
globalisierten Welt mittlerweile austauschbar und zu einem
Einheitsbrei geworden. Gleichzeitig fällt es uns allen sicherlich
nicht immer leicht, bei all den schnellen Veränderungen um uns
herum, noch hinterherzukommen. Ich bin der Auffassung, dass wir uns
wohl alle nach einem Stück Stabilität sehnen, das uns Halt und eben
auch Heimat gibt. Die Fastnacht ist für viele von uns ein großes
Stück Heimat. Schon drüben in Wiesbaden bietet sich kaum noch die
Möglichkeit zum Schunkeln an. Oder in München in Tracht zu diversen
Volksfesten zu marschieren ist ebenfalls so ein Kennzeichen für
Heimatverbundenheit. Oder seit nunmehr dreißig Jahren auch das
Marktfrühstück im Schatten des Doms.
Zurück zum
Freitag ins Fanhaus. Wie müssen sich Geflüchtete hier in
Deutschland fühlen, wenn sie aus ihrer Heimat geflohen sind und in
diese wohl nie wieder zurückkehren können? In der aktuellen
Berichterstattung wird häufig nur darauf eingegangen, dass sich so
viele junge Männer aus Syrien hier aufhalten. In dem Vortrag über
den Fußball in Syrien berichtete der Fan darüber, dass es zwei
Vereine in dem Land gibt, die der Armee bzw. der Polizei unterstellt
sind. Dies kennen die älteren unter uns noch aus den
Ostblock-Staaten – DDR inklusive. Nur kam es damals nicht zum Krieg
mit dem Westen. Den wirklich guten syrischen Kickern wird ein Vertrag
in einem der beiden Vereine angeboten und somit sind sie von der
Wehrpflicht befreit. Auch das Thema Wehrpflicht kennen nur noch die
wenigsten von uns. Ich musste noch schriftlich und glaubhaft
versichern, dass ich den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen
nicht machen könne: Mein Opa hat mir über seine Erfahrungen aus dem
ersten und zweiten Weltkrieg berichtet. Daher habe ich den Wehrdienst
verweigert. „Bestraft“ wurde ich dafür mit einem um drei Monate
länger dauernden Zivildienst, den ich allerding nie als „Strafe“
ansah, denn in einem Heim der Lebenshilfe für die Bewohner*innen da
zu sein, war für meine weitere Entwicklung sicherlich nicht
verkehrt. Aber diese relative Wahlfreiheit existiert in einem Land
wie Syrien natürlich nicht. Viele junge Syrer werden seit 2011 vor
die Wahl gestellt, Wehrdienst (mit Bürgerkriegseinsatz) abzuleisten,
in den Untergrund zu gehen oder die Flucht anzutreten. Damit wären
wir wieder in unserer Heimat angelangt. Denn vor diese Wahl gestellt,
bestünde bei allen drei Möglichkeiten die große Gefahr, die Heimat
nie wieder zu sehen. Hier können wir allesamt drei Kreuze machen,
dass wir im Geburtslotto einen Sechser erzielt haben. Eine solche
Entscheidung mussten wir in Deutschland seit 1945 nicht mehr treffen.
Wir nehmen es als gegeben hin, dass bei uns Frieden herrscht und sich
diese Stabilität nicht gravierend ändern kann – trotz der vielen
Veränderungen tagein tagaus. Ich bin 1995 auch nicht davon
ausgegangen, dass mein Gastland Syrien 16 Jahre später in Schutt und
Asche gelegt werden würde.
Der Vortrag
konzentrierte sich hauptsächlich auf den Bereich des Landes, den die
syrische Regierung kontrolliert. Mäzene außer der Armee und der
Polizei gibt es in Syrien nicht. Auch eine Werkself wie bei Bayer
oder bei VW gibt es dort nicht. Die Ultras finanzieren sich in Syrien
über Fanartikelverkauf von Shirts und Schals. Daher gelten diese
Dinge auch nicht als „Material“. Lediglich das Banner einer
Gruppe gilt es ggf. zu verteidigen.
Ultragruppen
werden in Syrien von offizieller Seite her mit Argusaugen beobachtet,
da diese die „syrischen Werte“ nicht verkörpern. Was diese sein
sollen, bleibt unklar, da die offiziellen Seiten nur ihr Ablehnung
Kund tun. Dadurch dass die Ultragruppen sich in eine Ecke gedrängt
fühlen, haben sich die meisten zusammengeschlossen mit dem Ziel sich
vorkicks und nachkicks nicht zu belauern. Vielmehr wird solidarisch
gemeinsamen gegessen bevor es ins Stadion geht, wo man sich lediglich
verbal „bekämpft“. Auch Charity-Aktionen führen die
Ultragruppen durch. Diese Gruppen bestehen mittlerweile nicht mehr
nur aus Jungs. Mädels bauen ihre eigenen Gruppen auf oder sind Teil
der Gruppe.
Zum Abschluss
hat der syrische Vortragende eine riesige Choreo gezeigt, in der das
zum Ausdruck gebracht wird, was sich wohl alle wünschen: Eine
riesige Taube schwebt über den Block, die die Sehnsucht nach Frieden
symbolisiert. Eine Waffenruhe, wie sie in Teilen Syriens existieren
mag, bedeutet aber keinen Frieden. Ein Friedensvertrag müsste zum
Ziel haben, dass alle im Exil lebenden Syrer*innen zurück in ihre
Heimat kehren können, ohne Repressalien zu fürchten. Schließlich
lebt wohl sicherlich jeder lieber in der Heimat als in einem fremden
Land, bei dem schon die Gespräche ins Stocken geraten, wenn man
erzählt woher man stammt.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour
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