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Mainz, 7. Januar 2018
Hallo aus Mainz,
Vorfreude ist sicherlich die schönste
Freude und so durfte ich mich auf die Reise nach Westafrika in das
kleine Land Sierra Leone seit dem Sommer 2017 freuen. Damals hatten
wir „Somebody“ ein Schimpansenweibchen im Tacugama Chimpanzee
Wildlife Sanctuary „adoptiert“ und fanden die Möglichkeit, unser
„Kind“ nicht nur finanziell zu unterstützen sondern auch
persönlich zu besuchen extrem spannend.
Schließlich stellt sich die Frage, was
wir mit Sierra Leone verbinden: Ebola ist sicher jedem ein Begriff
und an den Bürgerkrieg um Blutdiamanten, der mit Kindersoldaten
ausgefochten wurde, kann sich vielleicht die eine oder der andere
auch noch erinnern. Aber wie sieht es in diesem Land mittlerweile
aus? Von Flüchtlingen aus Sierra Leone hört man in Deutschland
gar nichts und im Weltspiegel habe ich seit dem Ende von
Ebola auch keinen Bericht mehr gesehen. Das Auswärtige Amt stellt
nüchtern fest „Für dieses Land besteht derzeit kein
landesspezifischer Sicherheitshinweis.“ - daher wird wohl in den
Medien auch nicht darüber berichtet. Schließlich existieren die
meisten der 195 Länder, die Mitglied der Vereinten Nationen sind,
medial schlicht nicht, wenn sich dort keine Naturkatastrophe
ereignet, sich niemand in die Luft sprengt, dort eine Seuche ausbricht,
die auch uns in der westlichen Welt gefährlich werden könnte, oder
sonst etwas Schlimmes passiert.
Am Lumley Beach von Freetown
Dass mal explizit über etwas Gutes
berichtet wird oder über Länder, an denen wir uns in Deutschland ein Beispiel
nehmen könnten, ist leider die Ausnahme. Es dreht sich die
Berichterstattung mehr oder weniger immer wieder um dieselben ca. 20
bis 30 Länder: Die USA geht immer, egal wer da an der Macht ist,
Mexiko als Beispiel für den Drogenkrieg nachdem diese Geschichte in
Kolumbien nicht mehr so funktioniert, Kuba für
Kommunismus-Romantiker, Brasilien als Beispiel für Korruptionssumpf und
Südafrika als Beispiel, wie zu große Erwartungen zum Scheitern
verurteilt sind. Der Nahe Osten als Drama geht immer, da dort seit
Jahrzehnten die Hütte brennt, und Korea geht neuerdings wieder gut –
dem kindischen Wer-hat-den-größeren-Knopf-Vergleich sei Dank. Und
die Volksrepublik China als zukünftige beherrschende Weltmacht rückt genauso wie das
Russland Putins immer mal wieder in den Fokus, aber
die restlichen 165 Staaten unserer Welt? Die fallen irgendwie durchs Raster der Berichterstattung.
Also ab ins Impfzentrum, die notwendigen
Spritzen setzen lassen, das Visum-Formular ausfüllen und den Pass
nach Berlin zur Botschaft Sierra Leones schicken. Schließlich bin ich der Meinung, dass
es noch genügend andere Länder auf diesem Planeten gibt, über die ich etwas
erfahren möchte. Wenn man darüber nichts erfährt, heißt das ja nicht, dass es dort nichts zu sehen gibt. Als der Pass nach ein paar Tagen mit der
Visum-Nummer 47 bzw. 48 ohne Zusatz der Jahreszahl zurückkam,
schwante mir schon, dass es wohl nicht so viele Menschen nach Sierra
Leone zieht. Dieser Umstand steigerte in mir weiter die Neugierde auf
dieses Land. Schließlich war ich in dieser Region 1999 das letzte
Mal unterwegs gewesen und hatte damals schon gehofft, es mal
irgendwann wieder nach Westafrika zu schaffen.
Der Vorort Aberdeen bei Freetown
Der Landeanflug im Licht der
untergehenden Sonne war eine schöne Einstimmung auf Afrika.
Minutenlang schwebten wir über unberührten Mangrovensümpfen der
Landebahn entgegen. Während an anderen Flughäfen die Umgebung hell
beleuchtet ist, war es hier stockfinster und ein weiteres Flugzeug
vor dem kleinen Terminal des Lungi International Airport war gar
nicht auszumachen. Die Treppe wurde herangerollt – Fluggastbrücken
wären hier die pure Dekadenz – und raus ging es in die
afrikanische Schwüle.
Hatte ich mich im Oktober 2017 in
Armenien noch darüber echauffiert, dass Geldautomaten grundsätzlich
immer nur die höchsten Scheine ausspucken, galt dies zwar auch hier
für die Geldwechsler, aber der höchste Geldschein (10.000 Leones)
entspricht leider nur 1,25 € und somit erhielt ich für meine 100 €
mehrere Geldbündel mit 10.000er und 5.000er Leones-Noten, schön
verpackt in einem Briefumschlag, der sich aber aufgrund des Volumens
der Geldscheine gar nicht schließen lassen konnte. Wie in einem
Mafiafilm stopfte ich die Kohle in die Tasche und weiter ging es zur
Gepäckausgabe. Die Passagiere wühlten auf dem Gepäckband alle Koffer
und Taschen umher und so flog mein Rucksack vom Band – leider auf
die Innenseite, so dass ich in einem Spagat bei laufendem Band
versuchen musste, mir das gute Stück zu angeln. Unter großem
Gelächter der umstehenden Leute gelang dies mir schließlich, und es
ging hinaus aus dem kleinen Flughafen.
Der Anleger am Lungi-Airport
Wie an vielen Flughäfen der Welt
standen dort Abholer und Geschäftemacher herum, aber wir wurden
nicht belagert und mit „Taxi, Taxi“-Geschrei konfrontiert. Nein,
es war tatsächlich möglich, zu fragen, wo Lamin sei, der uns
abholen sollte. Dieser sei gerade unterwegs, wir sollten uns einfach
dort hinten hinstellen und warten. Ein paar Sekunden später kam
Lamin tatsächlich und organisierte unsere Weiterfahrt. Der Lungi
Airport steht vielleicht ein wenig stellvertretend für das ganze
Land Sierra Leone: Es ist nicht so einfach hier herum zu kommen, doch
es funktioniert am Ende alles und es macht alles einen guten Eindruck
auf uns. Konkret hieß dies hier, Lamin besorgte uns die Tickets für
den Sea Coach Express – ein Wassertaxi, das uns über die riesige
Tagrin Bucht direkt nach Freetown bringen sollte. Das Gepäck wurde
in Jeeps geladen und auf einem separaten Boot in die Stadt gebracht.
Wir durften uns jetzt zwischen „Orange“ und „Africell“
entscheiden, denn Roaming mit T-Online, Vodafone und Co. gibt es
nicht. Gleichzeitig läuft in Afrika vieles über Telefon, so dass
ein funktionsfähiges Handy unabdingbar ist.
Dann ging es schon ab in den
Shuttle-Bus, der uns zum Anleger brachte. Im Wassertaxi lief dann zu
meinem Erstaunen im Fernsehen Championsleague. Später merkte ich,
dass eigentlich immer Fußball im Fernsehen gezeigt wurde, sogar das
Pokalspiel von Mainz 05 gegen Stuttgart und das in Sierra Leone. Die
Nullfünfer (hier Zerofivers) kannten alle Fußballinteressierten
selbstverständlich, obwohl die Präferenz immer in Richtung Premier
League ging und wenn dann Deutschland dann natürlich immer der FC
Bayern, nun ja. Leider ist der Spielbetrieb im eigenen Land seit 2014
ausgesetzt, wegen der verheerenden Ebola-Epidemie. Rein theoretisch
wäre es längst wieder möglich zu spielen, meinte später einer
unserer Fahrer, aber die Verbandspräsidentin und die sie umgebende
Männerriege haben es bisher nicht hinbekommen. So bleibt den
Fußballbegeisterten in Sierra Leone nur der Kick am Strand, der
sonntags insbesondere an den Stränden von Freetown mit Begeisterung
zelebriert wird.
Das Wassertaxi zwischen Lungi Airport und Aberdeen Bridge
Am Fähranleger stand schon unser
Gepäck bereit und weiter ging es mit einem Taxi-Jeep ins Hotel. Für
die 2,5 km lange Fahrt wurden umgerechnet 9 € fällig – hätten
wir das im Voraus online gebucht, wären uns sogar 20 US$ oder über
das Hotel 37 US$ berechnet worden. So bekamen wir schon eine
Vorahnung, dass erstens diese Reise nicht gerade günstig werden
würde und es einfach meist totaler Quatsch ist, jede Dienstleistung
vorab zu buchen. Wie in jedem Reiseführer über die Tropen
empfohlen, hielten wir uns tatsächlich mal dran, am nächsten Tag
nichts großes zu machen, außer meiner „Lieblingsbeschäftigung“
für die nächsten Wochen nachzugehen: Dem Geld besorgen! Wir waren
mit recht viel Bargeld ausgestattet, weil wir das Liquiditätsproblem
bereits bei der Reisevorbereitung mitbekamen, aber dass es
tatsächlich einem Glücksspiel glich, im Geldautomaten den Jackpot
zu knacken und mal 30 oder 40 Scheine zu erhalten (was dann ca. 35
bis 45 € entsprach), das überraschte mich dann doch. Im Umfeld des
Hotels gab es insgesamt 3 Geldautomaten und bei insgesamt ca. 20
Versuchen, gelang es uns tatsächlich zweimal Geld abzuheben! Mit der
Kreditkarte zu bezahlen war außerhalb von Freetown auch nicht
möglich, so dass dieser Trip auch buchhalterisch echt spannend
werden würde.
Saidhu unser Fahrer des riesigen Nissan
Patrol, wartete am nächsten Tag schon eine Stunde vor der mit seinem
Boss vereinbarten Abfahrtszeit vor dem Hotel auf uns. Dafür hielt es
sein Chef für nicht notwendig, Saidhu zu erzählen, dass wir die
nächsten vier Tage „upcountry“ vorhatten zu fahren, und nicht
abends wieder in Freetown zurück sein wollten. Unser Ziel, das
Naturreservat Tiwai Island, kannte Saidhu auch nur vom Hörensagen.
Mein Optimismus, leicht und locker die 350 km innerhalb von 4 bis 5
Stunden zurückzulegen verflüchtigte sich dementsprechend ganz
schnell. Natürlich war es vollkommen ok, dass wir als Erstes zu
Saidhu nach Hause fahren, damit dieser sich ein paar Klamotten holen
konnte, bevor es auf die große Reise ging. Anscheinend wollte er
auch noch ein paar Worte mit seinem Chef wechseln, denn als nächstes
fuhren wir zu Cerra Automotive – unserem „Vermieter“. Mietwagen
im klassischen Sinne gibt es in Sierra Leone noch nicht. Es werden
ausschließlich große Geländewagen mit Fahrer feil geboten.
Angeblich würden die Einheimischen so chaotisch fahren, dass es
Ausländern nicht zugemutet werden kann, selbst zu fahren. Darüber
kann man geteilter Meinung sein, denn hier wurde nicht anders
gefahren als auf Mauritius, Indonesien oder in Argentinien –
Ländern, in denen ich selbst schon hinterm Steuer saß. Aber
natürlich generiert diese Vorgabe Jobs und mit Saidhu unterwegs zu
sein, war sehr angenehm. Zwar war irgendwie nicht wirklich abgeklärt,
wer für die Übernachtung des Fahrers und seine Verpflegung
aufkommen sollte, da es zunächst hieß, wir sollten das übernehmen,
später hieß es dann, die Mietwagenfirma übernimmt das. Diese
Ungewissheit zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Reise in
Sierra Leone – man wusste nicht immer über alles Bescheid. Wir
gewöhnten uns notgedrungen an diese ständig neuen Situationen, in
denen wir nicht wussten, wie es jetzt weitergeht. Daher sei einem
Reisenden, mit Hang zum Kontrollwahn, eine Reise nach Sierra Leone
vielleicht nicht unbedingt zu empfehlen.
Der Start der unbefestigten Straße nach Mapuma
Schließlich ging es dann endlich raus
aus Freetown – auf gut ausgebauter Straße! Schon im Flugzeug sind
mir die vielen asiatisch aussehenden Passagiere aufgefallen. Und
Saidhu erklärte auf meine Frage, wer diese gute Straße gebaut hat,
dass die Chinesen das ganze Land mit guten Straßen überziehen.
Später bekamen wir diese Baumaßnahmen dann hautnah mit: In
hellblauer Arbeitskleidung und einem überdimensionierten Sonnenhut
gaben die Chinesen auf der Baustelle die Anweisungen, die von den
Sierra-leonischen Arbeitern umsetzt wurden. Später wurden wir wieder
überrascht: die Straßen konnten nicht umsonst genutzt werden. Die
fällige Straßenbenutzungsgebühr wurde an drei Mautstationen im
Abstand von 20 km eingezogen – mit modernster Technik: Kameras
scannten das Nummernschild und wir erhielten ein Quittung – wie
überall in Sierra Leone! Und auf dieser war sogar die Mehrwertsteuer
ausgewiesen! Schon vor der Landung hatte mich Sierra Leone
überrascht. Diese dämlichen Einreisekarten mussten wir nicht
ausfüllen. Und am Einreiseschalter wurde ein Bild von uns gemacht,
Fingerabdrücke genommen und die Fragen, die wir sonst auf den
Einreisekarten zu beantworten hatten, wurden direkt in den Computer
eingetippt. Ich bin zwar kein Freund von Datensammlungen aber was die
Technik angeht, können sich da ein paar Länder eine Scheibe von
Sierra Leone abschneiden.
Die 250 km nach Bo, in die zweitgrößte
Stadt des Landes, verlief komplett ereignislos. Allerdings war es
herrlich, durch Palmenhaine und Grasland zu cruisen, kaum menschliche
Behausungen zu passieren und auch auf wenig Verkehr zu stoßen. Das
erinnerte mich alles ein wenig an die Reise von Buenos Aires nach
Iguazu durch den Norden Argentiniens vor ein paar Jahren. In Asien
ist es leider kaum noch möglich, durch menschenleere Gebiete ohne
Dauersmog zu reisen. In Bo angekommen, ging ich wieder meiner
Lieblingsbeschäftigung nach, dem Geld Besorgen: Dieses mal beim
Libanesen im Tante Emma Laden! Die Libanesen sind in Sierra Leone und
weiten Teilen Westafrikas für den Handel zuständig. Und dazu gehört
auch Geld tauschen...unter der Ladentheke – und das zu einem
sagenhaft guten Kurs! Geldautomaten gab es in Bo natürlich aber
nicht.
Überfahrt über den Moa-Fluss
Im besten Hotel am Platz, das uns mit
Müh‘ und Not Falafel machen konnte, erkundigte sich Saidhu nach
der besten Route nach Tiwai Island. Ihm wurde die Strecke empfohlen,
die auch unser Navi suggerierte, während der Lonely Planet, eine
andere Strecke empfahl – allerdings für Leute, die mit Bus und
Motorradtaxi unterwegs waren. Tiwai Island ist, wie es der Name schon
sagt, eine Insel, abgeschieden gelegen im Süd-Osten Sierra Leones,
kurz vor der Grenze zu Liberia. Abhängig von der gewählten Route,
kommt man also westlich oder östlich der Insel an. Dass dieser
Umstand noch sehr entscheidend für die spätere Abendgestaltung
werden würde, hatten wir in Bo noch nicht auf dem Schirm. Zunächst
waren wir wieder positiv überrascht, dass sich auch die Straße ins
70 km entfernte Kenema in einwandfreiem Zustand befand. Doch die
letzten 47 km hatten es dann in sich.
Ich zweifelte schon daran, warum in
Sierra Leone eigentlich alle Organisationen mit solch monströsen
Geländewagen unterwegs waren, aber die Strecke bis Mapuma belehrte
mich, dass hier doch alles Sinn und Zweck hat, zumal wir in der
Trockenzeit unterwegs waren. Unbefestigte Straßen sind, wenn es
nicht geregnet hat, im optimalen Zustand fast so angenehm zu
befahren, wie Teerstraßen. Wenn die Regenzeit aber erst wenige
Wochen zurückliegt und in Sierra Leone glücklicherweise, die
Regenzeit ihrem Namen noch alle Ehre macht, dann bekommt man einen
Eindruck, wie die Buckelpiste nach Mapuma erst im nassen Zustand
nahezu als unpassierbar daher kommt. Für diese Marathondistanz haben
wir dann praktisch genauso lange gebraucht, wie die afrikanischen
Dauerläufer, etwas über 2 Stunden! Im Licht der untergehenden Sonne
erreichten wir Mapuma und im Dorf wusste gleich jemand Bescheid, was
Tiwai Island sei – das war die Kilometer davor nicht der Fall.
Saidhu wollte sich anfangs mehr oder weniger in jedem Dorf
vergewissern, auf der richtigen Route unterwegs zu sein und weniger
auf das Navi vertrauen. Da die Kenntnisse der Passanten aber doch
recht dürftig ausfielen, verließ er sich dann doch mit zunehmender
Entfernung von der Teerstraße auf das Navi, was sich tatsächlich
mal im afrikanischen Busch bewährte.
Kurz vor Sonneuntergang scheint das Ziel erreicht
Ruck zuck standen zwei kräftige Männer
bereit, die letzten paar Hundert Meter mit uns bis zum Fluss im Auto
zurückzulegen. Unsere Rucksäcke wurden auf zwei Einbäume getragen
und mit Saidhu machten wir eine Abholzeit aus, zu der er wieder in
Mapuma vorbeischauen sollte – schließlich benötigten wir ihn die
nächsten 3 Tage nicht und da seine Mutter in Kenema lebte, schlugen
wir ihm vor, doch einfach mit dem Auto dorthin zu fahren, wenn er
Lust auf Familienbesuch hätte. Wir stiegen in die Boote und ließen
uns von den Jungs in den Sonnenuntergang paddeln. Dass diese Macheten
dabei hatten, fiel mir erst auf, als sie unsere Rucksäcke
schulterten und auf den Trampelpfad in den Dschungel einbogen. Mit
Taschenlampen bewaffnet ging es über Stock und Stein an Lianen
vorbei in die Dunkelheit. Ich wollte partout die Frage vermeiden, wie
weit es eigentlich bis zum Visitors Centre sei, doch nach einer
halben Stunde des Nachtwanderns überkamen mich dann doch erste
Zweifel. Wir liefen gerade durch die finstere Nacht mitten in
Westafrika, vor uns und hinter uns zwei kräftige junge Männer in
Gummistiefeln mit Macheten „bewaffnet“. Plötzlich stoppten die
beiden…es galt nur einen kleinen Flusslauf zu queren. Dafür wurden
wir beide Huckepack genommen – damit wir keine nassen Füße
bekamen.
Nach rund einer Stunde, kamen wir auf
einer Lichtung an und sahen im Dunkel zwei Gebäude: die Research
Station! Hier übernachteten zu anderen Zeiten mal Wissenschaftler,
um die Besonderheiten von Tiwai Island zu erforschen:
Zwerg-Flusspferde und insgesamt elf Primaten-Arten! Es gibt wenige
Flecken auf unserer Erde, die durch so einen Artenreichtum an Affen
bestechen, wie Tiwai Island. Dass wir jetzt in stockfinsterer Nacht
vor den verschlossenen Gebäuden standen beunruhigte mich jetzt doch
ein wenig, aber ich wusste, dass es noch ein paar Hundert Meter zum
Visitors Center sind. Und irgendwann würde man sicherlich den ersten
Lichtschein des Visitors Centers entdecken. Nach weiteren 15 Minuten
die nächste Lichtung. „This is the Visistors Center!“ sprach
einer unserer beiden Begleiter aus. „Was, hier ist doch keine Sau!“
dachte ich mir und sprach es wohl auch so aus. Diese Verzweiflung
musste doch irgendwie raus. Wo sind eigentlich die ganzen Leute, die
auf der Webseite so nett mir entgegen blickten und die wussten, dass
wir heute hier ankommen sollten?
Überfahrt im Einbaum
Unsere Begleiter bliesen natürlich
alles andere als Trübsal und schalteten das Licht an. Eine große
Schutzhütte mit Tisch und Stühlen kam zum Vorschein. Dann sprang
schon einer der beiden in Richtung Büsche und knipste eine weiter
Lampe an: Die Häuschen mit Klo und Dusche, schön getrennt nach
Weiblein und Männlein! Im Lichtschein konnten wir nun auch weitere
Gebäude erkennen und mehrere Unterstände, in denen Zelte aufgebaut
waren. Einer unserer Begleiter sprintete direkt weiter. Er sollte die
Leute aus dem Dorf Kambama holen, das westlich von Tiwai Island
liegt. Jetzt ging mir endlich auch ein Licht auf. Hier wird
tatsächlich nur das Touriprogramm hochgefahren, wenn es Touris gibt.
Macht ja auch Sinn! Nur dass wir donnerstags abends in der
Hauptsaison die einzigen Gäste sind, hatten wir nicht bedacht. Und
dass man normalerweise in Kambama und nicht in Mapuma ankommt, wenn
man hierher möchte, und dann die Einheimischen automatisch wissen,
dass Gäste kommen, ist auch einleuchtend.
Wir duschten und machten es uns
gemütlich, soweit das eben auf Plastikstühlen bei 30° C in den
Tropen geht. Nach einer weiteren Stunde hörten wir plötzlich
Stimmen und insgesamt kamen 11 Dorfbewohner an, um uns zu versorgen.
Sie entschuldigten sich zunächst, dass ihnen leider niemand Bescheid
gegeben hatte – die Reservierung ist wohl in Freetown hängen
geblieben. Uns wurde ein Zelt zugewiesen, nachdem dieses nochmal so
richtig mit Mückenschutz voll gesprüht wurde. Auf unsere Frage hin,
ob wir noch etwas zu essen bekommen könnten und möglichst
vegetarisch, wurde uns tatsächlich noch Spaghetti mit Tomatensoße
kredenzt. Und für 7 Uhr am nächsten Tag vereinbart, einen
Waldspaziergang zu machen! Was für ein Tag!
Das Visitors Center von Tiwai Island bei Tag
Nach einer sehr angenehmen Nacht mit
allerlei unbekannten Naturgeräuschen, stand morgens um 7 tatsächlich
unser Guide am Visitors Center. Nach einem obligatorischen Kaffee
ging es auf die Pirsch, um einige der elf Primatenarten in den
Baumwipfeln von Tiwai Island zu entdecken. Die Umgebung des Visitors
Centers wurde mit schachbrettartigen Pfaden angelegt, die es den
Besuchern möglich machten, im Dickicht des Dschungels einigermaßen
voranzukommen, um bspw. die Red Colubus Gruppe im ersten Licht der
Sonne zu beobachten. In Kopfhöhe beeindruckten riesige Spinnen mit
ihren Netzen und der Spaziergang war die reinste Erholung. Danach gab
es im Visitors Center Pfannkuchen. Für Nachmittags wurde eine Fahrt
auf dem Fluss vereinbart und die meisten Dorfbewohner verließen das
Visitors Center wieder, bis auf einen alten Herrn, der an der langsam
abkühlenden Feuerstelle verharrte. Gegen Mittag stellten wir uns die
Frage, wann es eigentlich Mittagessen gäbe. Der alte Mann konnte nur
sehr wenig Englisch und es war irgendwie überhaupt nicht aus ihm
herauszubekommen, ob, wann und was es gäbe. So gegen halb zwei
hatten wir unser Mahl schon aufgegeben, als plötzlich Stimmen zu
hören waren und unser Mittagessen in Töpfen gebracht wurde. Es gab
Vollkornreis mit herrlich scharfer Gemüsesoße: veganes
Sierra-leonisches Homecooking! Wir waren wieder mit der Welt
versöhnt.
Leckeres veganes sierra-leonisches Homecooking
Nachmittags ging es dann den Fluss
aufwärts mit dem Ruderboot. Die herrlichen Naturgeräusche wurden
plötzlich von Bässen und elektronischer Musik übertrumpft. Ein
Dorffest stand in Kambama an. Ob wir sie begleiten wollten, fragte
uns schon der Bootsführer. Die Musik war alles andere als Getrommel,
was wir im allgemeinen unter afrikanischer Musik verstanden. Die
Mucke war so la la – aber uns musste sie ja auch gar nicht
gefallen. Allerdings hatten wir schon ein wenig Angst vor der
kommenden Nacht. Denn die Lautsprecher taten ihr Bestes, um die
gesamte Gegend in ohrenbetäubender Lautstärke zu beschallen. Wir
haben ja mit ziemlich viel gerechnet, aber dass uns mitten in der
Pampa Westafrikas womöglich der Schlaf aufgrund von Bässen geraubt
werden würde, war dann doch eine skurrile Vorstellung. Doch damit
nicht genug. Nachdem uns gegen halb sieben das wieder leckere Essen
kredenzt wurde, verabschiedeten sich auch die letzten Dorfbewohner
inklusive des älteren Herren, der den ganzen Tag hier ausgeharrt
hatte. Sie würden später nach dem Fest wieder kommen, wurde uns
noch mitgeteilt und ruck zuck war es mucksmäuschenstill. Wir waren
von der Situation dermaßen überrumpelt, dass wir nur kurz Bye Bye
sagen konnten und das Essen zunächst genossen. Mit der Zeit fing
dann bei uns doch das Kopfkino an, seinen Film abzuspulen. Wir
befanden uns alleine auf einer Insel in Sierra Leone, ohne Boot, ohne
Brücke sprich ohne physische Verbindung zur Außenwelt. Auch das
Mobiltelefon funktionierte hier nicht, trotz Africell-SIM-Karte.
Folglich kamen wir hier ohne fremde Hilfe nicht mehr weg. Doch es
galt ja jetzt fürs Erste die kommende Nacht zu überstehen...
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