Mainz, 5. Februar 2019
Sagt
Euch der Name Riku Riski etwas? Ja? Prima, dann hat habt Ihr ein
gutes Gedächtnis, denn er schaffte es vor wenigen Wochen in die
weltweiten Nachrichten und Ihr habt ihn in diesen schnelllebigen
Zeiten immer noch auf dem Schirm. Respekt!
Nein,
der Name sagt Euch nichts (mehr)? Dann geht es Euch so wie mir und
wie fast allen Leuten, die ihn Anfang 2019 auch (noch) nicht kannten.
Er blieb einem Trainingslager der finnischen
Fußballnationalmannschaft in Katar fern, weil er es mit seinem
Gewissen nicht vereinbaren konnte, dorthin zu reisen. Dass sich ein
Fußballprofi mit dem Gewinner der Asienmeisterschaft 2019 und dem
Gastgeberland der WM 2022 auseinandersetzt, ist sehr löblich. Dass
er zu dem Schluss kommt, aus ethischen Gründen dorthin nicht zufahren, ist seine persönliche Entscheidung.
Zwischenstopp in Katar auf dem Weg nach Baku 2016
Auch
die Bayernfans machten am 19. Spieltag auf Katar aufmerksam. In einem
überdimensionierten Plakat sah man Rummenigge und Hoeneß von
„Hervorragenden Trainingsbedingungen“ sprechen – dabei hatten
sie nur Dollarzeichen im Sinn, während im Hintergrund Menschen
ausgepeitscht wurden. Der SPIEGEL machte letzte Woche mit einem
Artikel auf, der auf das Jahr 2015 zurückgeht, in dem die Handball
WM im Wüstenstaat stattfand und ein Geschäftsmann um seinen Lohn
gebracht wurde, für eine Last-Minute-Kopie des Weltpokals, die er
kurzfristig angefertigt hat – ohne einen Vertrag aufzusetzen… mit
der entsprechendem Werbeagentur wohlgemerkt, nicht mit dem Staat
Katar. Philipp Köster, Chefredakteur der 11FREUNDE, reiht sich in
der aktuellen Ausgabe seines Magazins mit seiner oftmals sehr
lesenswerten Kolumne „Rot wegen Meckerns“ unter dem Titel
„Lästige Moral“ ebenfalls ein, da Oliver Bierhoff im Auftrag des
DFBs Katar auch einen Besuch abgestattet hatte. Für so ziemlich
jeden Kommentator ist damit die Lage klar: Der Fußballspieler der
Gute, der FC Bayern geldgeil, der DFB unmoralisch und der
Geschäftsmann die arme Sau. Ergo ist Katar für sie das große böse
Wüstenland, das gerade einmal so groß wie Hessen ist, aber das
aufgrund seines Reichtums durch immense Gasreserven (nicht Ölquellen,
wie so manch einer behauptet) sich alles leisten bzw. kaufen kann. In
unserer komplexen Welt sind wir alle oft etwas überfordert, und wir
versuchen unwillkürlich Dinge möglichst rasch zu ordnen. Man kann
auch von Schubladendenken sprechen. Doch diese Schwarz-Weiß-Malerei
greift in unserer heutigen Welt einfach zu kurz. Aber der Reihe nach.
Die
WM nach Katar zu vergeben stieß bei vielen Fußballfans auf strikte
Ablehnung. Was bildet sich dieser Zwergstaat eigentlich ein? Aber es
ging um die Vergabe einer Fußballweltmeisterschaft. Diese sollten
eigentlich alle Mitgliedsstaaten der FIFA ausrichten dürfen, gerade
dann, wenn es finanziell in den Rahmen passt, was man beispielsweise
von Ländern wie Südafrika oder Brasilien nicht wirklich behaupten
kann. Dieses Rumgeheule, nicht nur von vielen Sommermärchen-Fans,
erinnert gerade an die so genannte „Traumbundesliga“, in der
zahlreiche Traditionsvereine genannt werden, die doch so viel lieber
in der ersten Liga spielen sollten als die Jungs aus Mainz oder
Freiburg. Und wie ist Katar an die WM gekommen? Wahrscheinlich so
ähnlich wie Deutschland 2006. Kann man ablehnen, aber hat es
Deutschland tatsächlich besser gemacht?
Einmal
die WM an Katar vergeben, kam der nächste Kritikpunkt auf: Auf den
WM-Baustellen würden Sklaven arbeiten. Die Aussage von Franz
Beckenbauer, er habe in Katar gar keine Sklaven gesehen, lasse ich
mal lieber unberücksichtigt. Aber durch die Vergabe der WM an Katar
rückte dieses Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Plötzlich
schaute man hin und stellte Missstände fest. Diese gab es aber nicht
nur auf den WM-Baustellen, sondern generell im Bausektor. Ob ein
Gastarbeiter auf einer Stadion-Baustelle oder in einem Wolkenkratzer
mangels Arbeitsschutz sein Leben lässt, ist unerheblich – der
Umstand an sich, dass ein Mensch stirbt, ist eine Tragödie. Daher
kann man es auch als Glücksfall bezeichnen, dass das Land jetzt
mindestens noch drei Jahre unter der genauen Beobachtung steht, was
die Baustellen angeht. Dank guter journalistischer Arbeit tut sich
auch etwas. Und der mediale Druck wird sicherlich in der nächsten
Zeit nicht geringer. Ende 2018 änderte Katar seine Regeln in Bezug
auf den Aufenthalt von Gastarbeitern (und Fußballprofis) im Land.
Diese können nun jederzeit das Land verlassen, was früher nicht
möglich war, und das ist sicherlich auch ein Verdienst von
Menschenrechtsaktivisten.
Die
beste Möglichkeit, sich ein Bild von einem Land zu machen, ist
allerdings dorthin zu fahren oder mit den betroffenen Leuten zu
sprechen, die dort lebten. Ich habe beides gemacht. Doha, die
Hauptstadt, war 2016 eine große Baustelle und die meisten Menschen,
denen ich begegnet bin, hatten gar keine katarische
Staatsbürgerschaft. Sie gehörten zu den besagten Gastarbeitern und
hielten sich zeitlich befristet in Katar auf. Jahre zuvor traf ich in
Nepal auf einen ehemaligen Gastarbeiter, der in Katar einige Jahre
verbracht hatte. Er war dankbar, als Fahrer so viel Geld verdient zu
haben, dass er sich, zurück in seiner Heimat, mit seinem erworbenen
Auto eine Existenz aufbauen, und mich nun durch den Himalaya-Staat
kutschieren konnte. Auf die Arbeitsverhältnisse angesprochen, war er
voll des Lobes über das Land – auch diese Geschichten gibt es. Sie
klingen halt nur nicht so spektakulär, herzzerreißend und
dramatisch, sind aber auch ein Teil der Wahrheit.
Katar
möchte sich als Sportnation etablieren. Ob man das nun gut findet
oder nicht, wichtig ist, dass die Welt auf das Land und auch seine
Nachbarn schaut. Denn dort arbeiten tatsächlich Tausende von
Gastarbeitern hauptsächlich aus Südasien, weil sie sich dort mehr
für ihr Leben versprechen als in der Heimat. Man stelle sich vor,
die arabische Halbinsel wäre kein solcher Jobmagnet und diese
Menschen würden über den Iran und den Irak in die Türkei und nach
Europa flüchten, da sie sich dort ein besseres Leben als in
Pakistan, Indien oder Sri Lanka versprächen.
Einige Nachbarstaaten verstehen sich aktuell gar nicht mit Katar.
Sie versuchen Katar sogar
ziemlich zu isolieren. Al Jazeera, der einzige TV-Sender in der
arabischen Welt, in der Pressefreiheit gelebt wird, und der sehr
stark mit der weltweit anerkannten BBC kooperiert, hockt in…Katar.
Und eine der Forderungen der Nachbarn an Katar ist Al
Jazeera endlich zu schließen, sprich das zarte Pflänzchen der
Pressefreiheit in dieser Region endlich kaputt zu treten, damit man
zu Hause wieder ungestörter sein Ding drehen kann.
Ich
denke das Beispiel Katar zeigt, dass es heute nicht mehr so einfach
ist, ruckzuck ein Urteil zu einem Sachverhalt zu fällen. Vielleicht
war es das auch früher nicht. Auf den ersten Blick scheint Katar
vielen ein Staat zu sein, den es komplett abzulehnen gilt. Beim
näheren Hinschauen fällt uns dann vielleicht auf, dass wir in einer
mittlerweile seit Jahrzehnten funktionierenden Demokratie leben und
unsere Nachbarstaaten uns nicht feindlich gesinnt sind. Welcher Staat
außer Israel ist in der Region eine Demokratie? Richtig, der Jemen!
Und da stellt sich dann doch die Frage, ob wir mit unserem westlichen
Gesellschaftsverständnis überall ein Copy/Paste durchsetzen wollen,
um einen Staat toll zu finden. Das hat in Afghanistan nicht
funktioniert und der Arabische Frühling ist letztlich auch überall
gescheitert. Übrigens war Katar eines der Länder, in denen es keine
Proteste während des Arabischen Frühlings gab – vielleicht weil
die Einwohner mit dem autokratischen Stil des Emirs aufgrund des
Wohlstands zufrieden sind und Meinungsfreiheit in Katar (im Vergleich
zu seinen Nachbarn) nicht vollkommen fremd ist, 70 % der
Immatrikulierten auf den Unis von Katar Frauen sind und
Homosexualität laut Auswärtigem Amt in Berlin nicht aktiv verfolgt
wird.
Sich
mit Katar auseinanderzusetzen ist gut. Das Katar-Bashing von manchen
Leuten bringt mediale Aufmerksamkeit und Zuspruch von fast allen
Seiten. Sich in diesem Zusammenhang für die Rechte von Homosexuellen
und von Frauen mit Hilfe von ein paar Zeilen „einzusetzen“ ist
sicherlich nicht verwerflich, aber den Betroffenen vor Ort bringt
eine Kolumne in einem deutschen Magazin für Fußballkultur
sicherlich so rein gar nichts. Das erinnert ein bisschen an die
Kritik in den sozialen Netzwerken „weißen, alten Männern“
gegenüber. „Weiße, alte Männer“ sind in diesem Zusammenhang,
wir Menschen aus der westlichen Welt, die schon immer wussten, dass
das was für uns gut ist, auch gut für alle anderen Erdenbewohner
ist. Ja, die Demokratie ist auch meiner Meinung nach die beste
Staatsform, die es real existierend gibt. Aber auch bei uns hat es
Jahrzehnte gebraucht, um diese gedeihen zu lassen. Es ist ja auch
nach wenigen Jahren erst mal 1933 gescheitert. Und bis 1989 war
dieses in Teilen Deutschlands weiterhin nicht präsent. Gleichzeitig
sollte man es auch tolerieren, wenn Menschen in anderen Regionen sich
nicht für die Demokratie stark machen, weil sie vor ihrer Haustür
erleben, was in einer Demokratie wie dem Jemen gerade abgeht. Wenn
wir vor die Wahl gestellt werden: Auf der einen Seite Demokratie,
Bürgerkrieg, Hunger und fehlende Versorgung der Kranken und
andererseits Autokratie, Wirtschaftswachstum, relative Meinungs- und
Pressefreiheit, gratis Krankenversorgung, ist es nur menschlich, sich
für letzteres zu entscheiden
Der
FC Bayern und der DFB haben mit ihrer Katar-Connection die Chance,
Missstände anzusprechen – hinter verschlossenen Türen und nicht
im Rahmen einer Pressekonferenz, einer Pressemitteilung oder einem
Social Media Post. Mit Dr. Jörg Englisch hat der DFB einen
Compliance-Beauftragten, dessen Aufgabe es sein sollte, mit Katar
Themen wie Arbeitsschutz, Mindestlohn, die Rolle von Minderheiten
etc. zu besprechen. Gleiches gilt für den FC Bayern, der einen
Compliance-Beauftragten endlich einstellen sollte. Journalisten
sollten weiterhin das Land kritisch beobachten und bei den Rechten
der Gastarbeiter genau hinschauen. Denn schließlich ist es
eigentlich eine gute Sache, dass Katar so die Weltöffentlichkeit
sucht und die Nähe zu den Erfolgreichen im Fußball. Es gibt 195
Staaten auf der Erde und in vielen läuft vieles falsch. Nur wenige
wie Katar suchen das Licht der weltweiten Öffentlichkeit. Dies gilt
es zu nutzen, um in diesen Staaten tatsächlich etwas zu bewegen,
damit ein mündiger Spieler wie Riku Riski zukünftig ohne schlechtes
Gewissen dorthin reisen kann und sich im besten Fall selbst ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, ggf. Aktivisten zu treffen, statt einfach den Kopf in den Sand zu stecken und das Land zu meiden.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour
Weiterführende Links:
Auswärtiges Amt - Besondere strafrechtliche Vorschriften: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/katar-node/katarsicherheit/202280#content_5
Global Gays - LGBT-Leben in Katar: https://www.globalgayz.com/gay-life-in-qatar/
DFB & Compliance: https://www.dfb.de/dfb-akademie/news/news-detail/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=176353&cHash=1b732c32cafc2d8e4b725b803d04577a
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