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Mainz, 3. April 2001
Meine lieben Freunde des regen Emailverkehrs!
Einige von Euch habe ich in letzter Zeit leider nicht mehr so häufig
zu Gesicht bekommen, da ich mal wieder Klausurstress hatte! Ich
hoffe, dass ich in Zukunft keine Geburtstage mehr verschlafen werden - Odie,
Jochen, Peter und ??? - und mal wieder bei Euch "offline" auftauche.
Wenigstens kann ich Euch heute mal wieder aus einem
wunderschönen Land am linken unteren Rand unseres
Heimatkontinentes berichten: Portugal ist, um es vorwegzunehmen,
definitiv eine Reise wert. Allerdings solltet Ihr, wenn es Euch mal
irgendwann nach Lisboa verschlägt nicht zu viele Kippen o. ä.
rauchen, da diese Stadt von Euch viel Kondition abverlangt. Roma
nennt sich zwar die "Stadt auf 7 Hügeln", doch diese sind ja
bekanntermaßen nicht größer als irgendwelche Maulwurfshaufen
auf irgendeinem Fußballacker.
In Lisboa gibt es nur 2 Richtungen: Bergauf oder Bergab und dies
meist auf Caçadas, d. h. auf Treppen und Treppchen steil hoch und
hinunter. Wenn man also als Tourist die Stadt innerhalb eines
Tages erkunden will, sollten Meniskus und Kreuzbänder
noch Intakt sein, sonst ist die Besichtigung schnell zu Ende, und Ihr müsst in
einem der tausend Cafés den Rest des Tages genießen. Aber
Ihr könnt natürlich auch die bequeme Variante durchziehen,
die sich nach einer Partynacht am Besten eignet:
Wie in Hongkong gibt es auch hier noch die gute alte Straßenbahn
aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Nur kann man hier keine
quadratisch praktisch gute Doppelstöckige einsetzen, da diese
sofort die Wäsche von den über die Gassen gespannten Leinen
reißen würde. Diese Mini-Straßenbahnen fassen gerade mal 2
Dutzend Leute, und sind äußerst kompakt, denn in den engen
Gassen - schmaler als die Augustinerstraße in Mainz - parken ja die vielen
Autos und die Händler müssen auch noch ihre Waren irgendwo
hinstellen können. Also bleibt als Fußgänger oft nur noch der
Hauseingang, um in Deckung zu gehen. Den Bahnen muss man als
Passagier sehr großes Vertrauen entgegenbringen, da sie den
Anschein erwecken, dass durch das permanente Geklapper die
Holzvertäfelung gleich abfällt und sich alles in Einzelteile auflöst.
Die größte Sorge bereitet aber die Bremse, die sicher von ABS,
ESP oder sonst so einem technischen Schnick-Schnack noch nichts
gehört hat. Bei einem Gefälle von oft mehr als 10% sollte sie noch
funktionieren, für den Fall, dass man noch keine Suizidgedanken in
sich trägt. An ein Wunder grenzt es mich als technisch
null peilenden Mitteleuropäer, wie dieses Gefährt auch dieselben
Steigungen wieder hoch ächzt und dann weiterzuckelt. Dagegen ist
das Tramsurfen in Lisboa eigentlich eine sichere Sache, denn man
landet höchstens in einer Gurkenkiste oder auf der Kühlerhaube
eines Pkws im Falle eines Abrutschen.
Nachdem man entweder sich die Knie beim Treppensteigen
ruiniert, oder den Kater beim Tram fahren gegen Stoßgebete
eingetauscht hat, kann man endlich Essen gehen, da das
portugiesische Frühstück nur aus einem Espresso und einem
Sandwich besteht. Hier kann BSE oder
MKS durch Verzehr von getrocknetem, in Salz eingelegtem Fisch, Bacalhau genannt, ohne
Probleme aus dem Weg gegangen werden. Bevor der Fisch
verzehrt wird, liegt er aber mindestens 24 Stunden im Wasser, um
das zu Konservierungszwecken vorhandene Salz zu entfernen und
um ein permanentes am Wasserhahnhängen zu vermeiden. Der
Fisch hat einen sonderbaren Geschmack, der vielleicht nicht
Jedermanns Sache ist. Aber es gibt 365 (!?) Arten, ihn
zuzubereiten, und die wenigen, die ich zu mir nahm, waren alle richtig
lecker.
Von Lisbao bin ich dann in die "Kulturhauptstadt Europas 2001"
mit der portugiesischen Bahn gefahren. Die Reise war recht
unspektakulär, außer der Tatsache, dass hier die Bahn günstig und
pünktlich ist, was man beim "Unternehmen Zukunft" (Deutsche
Bahn für Nicht-Leidensgenossen) eher nicht behaupten kann.
Anscheinend hat Porto erst Anfang 2001 bemerkt, dass es
Kulturhauptstadt geworden ist. Denn die gesamte Stadt ist eher
zur "Großbaustelle Europas 2001" mutiert. Man dachte wohl, es
wäre an der Zeit, gleichzeitig den Flughafen zu modernisieren, eine
Metro zu konstruieren und die Altstadt zu renovieren. Das Ergebnis
ist nun zu bestaunen: Große Baugruben , überholte Stadtpläne, da
ganze Straßen verschwunden sind, und ein Presslufthammerlärm
an manchen Ecken, der mit einem Wagen der Loveparade im Takt
mithalten könnte. Doch zum Glück fehlt wohl doch ein bisschen
Kohle, um die Stadt vollständig aufzureißen, so dass einige
Quartiers wirklich noch an vergangene Jahrhunderte erinnern und
nicht an den Potsdamer Platz vor zwei bis drei Jahren.
Mitten durch die
Stadt zieht sich der Douro, der ja leider vor ein paar Wochen
traurige Berühmtheit erreichte, als eine Brücke in der Nähe von
Porto einstürzte. Die große Brücke in Porto ist von Gustave Eiffel
errichtet worden und ist sicherlich aus genauso viel Stahl, wie der
berühmte Eiffelturm gebaut worden. Da das Douro-Tal sehr
steil ist, und die Altstadt in den Hang gebaut wurde, hat man auf
der Brücke einfach zwei Stockwerke eingerichtet. Im oberen
Stockwerk kann man direkt aus der Oberstadt in rund 150 Metern Höhe
über den Fluss fahren und kommt an der anderen Flussseite gleich
wieder in der Oberstadt von Vila Nova (Neustadt) an. Und für die
Leute aus der Unterstadt wurde das Erdgeschoß gebaut, das in
rund zehn Metern Höhe verläuft. Die gesamte Konstruktion wird wie beim
Eiffelturm durch einen riesigen Bogen gehalten. Läuft man im
Erdgeschoß nach Vila Nova rüber, kommt man gleich im Zentrum
des guten Geschmacks an, den berühmten Portweinkellern.
Ganz
Vila Nova besteht eigentlich nur aus diesen Kellern, in denen der
Port entweder in der Flasche als teurere Version reift oder im
Holzfass für das Proletariat. Natürlich gibt es in Porto auch eine Art Hofbräuhaus für
dieses Gesöff. Doch Bier mit Port zu vergleichen ist sicher
genauso bescheuert, wie Meenzer Fassenacht mit Münchner
Fasching. So ist das Haus des Portweins natürlich eine Quinha, ein altes Gutshaus, das mit schnieken Kellern, großen, breiten
Sesseln und einem Park mit Springbrunnen bestückt ist. Natürlich
schreckt ein solches Ambiente den monetär etwas
angeschlagenen teutonischen Globetrotter ab, aber anscheinend
soll hier durch Kampfpreise von 1,50 € pro Glas 10-jährigem Port
der eingefleischte Pilsverehrer zum Portgenießer umgepolt werden.
Probiert es am besten selber aus, wenn Ihr mal dort unten in der
Ecke seid.
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