|
Mainz, 20. Oktober 2013
Namaste,
eigentlich bin ich auch davon
ausgegangen, dass Indien und Nepal mehr oder weniger „gleiche
Länder“ seien. Schließlich bewegt man sich im selben Kulturkreis,
der von Hinduismus und Buddhismus geprägt wird, denn auch in Indien
gibt es viele buddhistische Heiligtümer. Aber irgendwie hatte ich in
Nepal immer das Gefühl, dass sich dieses kleine Volk bewusst von
seinen beiden einzigen Nachbarn Tibet, sprich China und Indien
abgrenzen möchte. OK, die Nepalesen waren dann doch nicht so krass
drauf, wie die Burmesen, die nach dem Ende der englischen Besatzung
mal schnell den Rechtsverkehr eingeführt haben, obwohl praktisch
alle Nachbarn den Linksverkehr beibehielten. Nein in Nepal fährt man
links, obwohl das Land nie unter einer Kolonialverwaltung der
Engländer oder sonst einer Macht stand. Hier ist man erfinderischer
und führt einfach mal seine eigene Zeitzone ein. Damit gibt es beim
Grenzübertritt zwischen Indien und Nepal den kürzesten Jetlag
weltweit: 15 Minuten!!! Auch Indien hat schon eine Zwischenzeitzone
von 4:30 Stunden im Vergleich zur Mitteleuropäischen Zeit. Nach
Nepal beträgt die Zeitverschiebung dann halt 4:45 Stunden. Was das
bringen soll weiß ich nicht, aber im Binnenland Nepal befindet man
sich so auf einer „Insel“ mit eigener Zeit. Und ja, die Uhren
ticken in Nepal wirklich anders, wenn man bedenkt, dass hier auch
noch spezieller Kalender namens „Vikram Sambat“ genutzt wird und
ich Euch aus dem Jahr 2070 schreibe! Schließlich errang König
Bikramaditya Samvat 57 v. Chr. einen entscheidenden Sieg über den
König von Ujjayini und etablierte seine Herrschaft. Grund genug, da
mal mit der Zeitrechnung anzufangen.
Stupa in Boudhanath
Daher gibt es in Nepal sehr bizarre
Kalender, da die Monate, die an die Mondphasen angelehnt sind, im
Vergleich zu unserem Kalender meist in der Mitte unserer Monate
beginnen. Möchte man nun beide Kalender abbilden und rechnet im
„Vikram Sambat“, dann lauten die Kalenderblätter im englischen
Untertitel immer „September/October“, „October/November“ etc.
Man braucht da eine Weile, bis man das aktuelle Datum im Kalender
findet, zumal die Zahlen in „Devanagari“ geschrieben werden.
Diese Kringelziffern finden sich auch manchmal auf
Geschwindigkeitsbeschränkungen. Aber zum Glück ist Ausländern das
Autofahren offiziell eh nicht gestattet. Um nun aus dem nepaleischen
Flachland in die Berge zu gelangen, setzten wir unsere Fahrt nun
erstmals mit Bussen fort, statt weiter Zementfabriken im Rahmen einer
Taxi-Fahrt zu erkunden.
Glücklicherweise gibt es in Nepal auf
den von Backpackern frequentierten Strecken Touristenbusse. Das sind
keine Luxusliner sondern auch nur die gewöhnlichen indischen
TATA-Exemplare, aber mit Klimaanlage und das heißt in Nepal sehr
viel. Nein, es war nicht sonderlich heiß, aber Aircon bedeutet
einfach, dass man seine Luftzufuhr nicht über offene Fenster regeln
muss und das ist das A und O, was man hier bei einer Überlandfahrt
bedenken muss. Denn es gibt wenige Länder auf der Welt, die ein
größeres Abgasproblem haben als dieser Bergstaat Hier würde man
sich wohl fast den Gestank von Zwei-Taktern à la Trabbi wünschen,
denn was hier an schwarzem Ruß und Dreck aus den Auspuffen
herausgeschleudert wird, ist einfach unvorstellbar. Das liegt
natürlich auch an den Bergstraßen, auf denen viele Gefährte
verrecken; aber auch an den altertümlichen Fahrzeugen, die hier noch
immer auf der Gasse ihr Unwesen treiben. So waren wir froh mit dem
Touri-Bus die Hauptstraße nach Kathmandu zu befahren. Anfangs war
diese sogar in recht gutem Zustand, was sich allerdings auf dem Weg
in die Hauptstadt mit zunehmender Höhe ruckzuck änderte.
Normalerweise sind ja die Straßen im Umkreis einer Hauptstadt
exzellent und mit zunehmender Entfernung verwandeln sich diese in
Feldwege, hier ist es genau umgekehrt. Dies ist womöglich dem
Umstand geschuldet, dass es von nahezu 0 Metern immerhin auf knapp
1.400 Meter geht und das Wetter gerade im Himalaya mittlerweile solch
starke Eskapaden treibt, dass sogar die Startbahn am Flughafen
Kathmandu in Mitleidenschaft gezogen wurde und man Airlines zwingen
wollte statt Großraumfliegern kleines Fluggerät einzusetzen. Es
fehlten eigentlich permanent Teile der Straße, so dass sich die
Breite der Fahrbahn ständig änderte. Aber wenigstens fahren
Nepalesen relativ anständig und lassen auch mal schnellere Genossen
an einem vorbeiziehen. Über einen kleinen Pass kurz vor der
Hauptstadt ging es dann ein paar Meter hinunter in das Kathmandu-Tal
und in eine Dunstglocke aus Staub und Gestank.
Morgenstimmung in Chisapani
Nein, das Zeit verbringen in der
Innenstadt Kathmandu war nicht besonders toll und wir waren froh,
dass wir uns bereits vor der Reise darauf festgelegt hatten, am
Boudhanath-Stupa ein Hotel zu nehmen. In diesem Teil Kathamdus steht
ein riesiges buddhistisches Pilger-Bauwerk und drum herum reihen sich
alte Häuser und schirmen diese Oase relativer Ruhe gegen den
Verkehrslärm der Hauptstadt ab, denn hier herrscht autofreie Zone.
Somit fanden wir hier einen Platz zum Atmen und Entspannen. Morgens
kurz vor Sonnenaufgang herrschte um den Stupa herum bereits ein reges
Treiben. Hunderte Betende und Meditierende bevölkerten den Platz,
aber es herrschte eine angenehme Ruhe, die höchstens einmal durch
das Flattern der unzähligen Tauben oder durch das Gemurmel der
Pilger unterbrochen wurde. Wir hatten auf dem Hoteldach fast eine
Sicht aus der Vogelperspektive und wir versöhnten uns dann doch ein
wenig mit dem dieser Stadt. Später zog es uns sogar aus diesem
Paradies guter Luft hinaus, um einen Spaziergang von Weltkulturerbe
zu Weltkulturerbe zu unternehmen. Schließlich haben nicht nur
Buddhisten eines ihrer Pilgerzentren hier in Kathmandu sondern auch
die Hindus. In einer halben Stunde Fußmarsch eine kleine zum Glück
kaum befahrene Straße hinab standen wir schon am Tempelbezirk von
Pashupatinath. Aber das hektische Treiben schreckte uns dann doch
etwas ab, so dass wir recht schnell wieder den Rückzug zu den
Buddhisten antraten, um noch ein wenig zu entspannen.
Schließlich holten uns am nächsten
Tag Suda und Robbie ab, um endlich die Bergwelt Nepals
kennenzulernen. Den 28-jährigen Bergführer und den 22-jährigen
Träger haben wir bereits in Deutschland über eine Agentur vor Ort
vermittelt bekommen. Glücklicherweise ist das Trekking in Nepal ja
bereits seit Jahrzehnten en vogue, so dass es entsprechende
Organisationen wie „KEEP“ (Kathmandu Environmental Edjucation
Project) gibt. Diese NGO listet Trekkingbüros auf, die gewisse
Sozialstandards wie eine Krankenversicherung für Führer und Träger
garantieren. Nach ein paar Klicks landeten wir dann auf der Webseite
einer Agentur in Kathmandu, für die die beiden Jungs arbeiten. So
war unsere Mehrtageswanderung recht schnell organisiert. Anders als
im indischen Ladakh wo wir zwei Jahre zuvor mit Pferden und
Maultieren sowie Zelt und Kocher unterwegs waren, wird in vielen
Teilen Nepals das „Teahouse-Trekking“ angeboten, sprich man
übernachtet in einfachen Tee- bzw. Gasthäusern. Viele Treks, gerade
im Großraum Kathmandu, sind sicherlich auch ohne Führer und Träger
zu meistern, aber darauf kommt es uns letzten Endes gar nicht an.
Schließlich möchten wir, dass von unserem Besuch in einem Land auch
direkt Einheimische profitieren. Daher nehmen wir das Angebot dankend
an, von Nepalesen durch ihre Heimat geführt zu werden. Und dass man
nur mit Tagesgepäck durch die Gegend läuft, macht die Sache
natürlich auch deutlich angenehmer.
Hirse-Terrassen in der Helambu-Region
Allerdings hatte ich beim schmächtig
drahtigen Robbie anfangs schon Bedenken, dass dieser den Rucksack
tatsächlich schultern kann – dieser war fast genauso groß, wie er
selbst. Anders als am Kilimanjaro tragen hier die Träger die
Rucksäcke nicht auf dem Kopf. Er versuchte es anfangs sogar mit dem
Tragesystem, was aber nur leidlich funktionierte. So wurde noch
schnell im Ausgangsort der Tour ein Seil mit Polsterung gekauft und
um den Rucksack herum gespannt. Danach legte Robbie dieses wie ein
Stirnband um seinen Kopf und hievte den Rucksack auf den Rücken.
Diese Methode funktionierte und wir setzten uns in Marsch. Der große
Vorteil von Trekkingtouren in Nepal ist die Tatsache, dass diese auf
einer für uns Flachland-Menschen geeigneten Höhe starten. In 1.400
Metern Höhe, also etwa Feldberg-Level, hat der Körper keine
Höhenprobleme, anders als in Ladakh, wo bereits die Hauptstadt Leh
auf 3.600 Metern liegt. Ziel unserer Tour war die Helambu-Region
nördlich von Kathmandu in Richtung tibetischer Grenze.
Wir machten eine Halbrund-Tour, in dem
wir einen riesigen Talkessel in mehreren Tagen hoch und wieder
herunter wanderten. Obwohl Hauptreisezeit war, trafen wir in den
folgenden Tagen auf extrem wenige Wanderer. Die meisten Trekker in
Nepal zieht es anscheinend in die Everest- oder Anapurna-Region. Nun
muss das natürlich jeder für sich entscheiden, aber ich ziehe es
vor, auf Wegen unterwegs zu sein, wo man die Ruhe der Natur noch
wunderbar genießen kann, ohne ständig auf Sprachfetzen aus Deutsch,
Englisch, Spanisch oder Französisch zu treffen. Dafür läuft man in
der Helambu-Region natürlich nicht direkt unterhalb einer Felswand
eines Achttausenders entlang.Trotzdem bietet diese Region Nepals auch
wunderbare Ausblicke auf die Siebentausender-Kette der
Langtang-Region.
Die Langtang-Kette bildet die Grenze zu Tibet
Die Tage in den Bergen verliefen immer
nach dem gleichen entspannten Schema. Vor Sonnenaufgang aufstehen,
möglichst im Teehaus bereits einen ersten heißen Tee oder Nescafé
schlürfen und dann das immer gleiche wunderbare Naturschauspiel des
Sonnenaufgangs genießen. Meist saßen wir oberhalb der Wolkendecke
und kamen uns wirklich wie auf dem Dach der Welt vor. Das Frühstück
hatten wir bereits am Abend vorher glücklicherweise bestellen
können, denn eines braucht in Nepal immer Zeit – die Zubereitung
von Speisen! Gut, morgens den Porridge oder das angebotene Müsli
zusammenzustellen war nicht so der große Akt, aber das leckere
tibetische Fladenbrot, das wir zusätzlich bestellten war natürlich
nicht in ein, zwei Minuten fabriziert. Nach dem Frühstück hieß es
dann den Tagesrucksack schultern und Robbie zu beladen. Danach zogen
wir weiter in die Berge hinein, bis zum Stopp in der Mittagszeit an
einem netten Gasthaus in einem kleinen Bergdorf. Dort orderten wir ab
dem zweiten Tag immer das Gleiche, denn das Gleiche ist in Nepal
trotzdem nie gleich. „Daal Bhat“ ist die Nationalspeise Nepals
und immer irgendwo aufzutreiben. „Daal“ kennen Indien-Reisende
zur Genüge, handelt es sich doch um die omnipräsente Linsensuppe,
die allerdings in Indien eher an einen Eintopf erinnert. Das Süppchen
in Nepal wird immer in einer Schale zum Rest des Gerichts gereicht.
Reis ist das Rückgrat jedes „Daal Bhats“ und dazu gibt es dann
weitere kleine Gemüsespeisen oder Fleischeinlagen. Da das Gemüse
jedes Mal variierte und jede Köchen den „Daal“ immer anders
zubereitete, wurde das Speisen niemals eintönig. Aber man musste
immer und überall außerhalb von Kathmandu und dem Tiefland Nepals
Zeit mit ins Restaurant bringen.
Auch in Mainz waren wir einmal beim
Nepalesen zum Essen gewesen und nach rund 90 Minuten standen dann
auch die Speisen auf dem Tisch. Damals wie heute hatten wir Zeit –
nur in Mainz konnten wir die anderen Gäste beim Starren auf die Uhr
beobachten und dieses Restaurant hielt sich tatsächlich auch nicht
lange in unserer Stadt. In Nepal scheint das hingegen ganz normal zu
sein, auf sein Essen stundenlang zu warten. Später bestellten wir
einfach bereits am späten Vor- oder Nachmittag die Speisen für
Mittag- und Abendessen. Auf dem Trek war das Warten bei herrlicher
Bergsicht sowieso nicht unangenehm und so verbrachten wir eine schöne
Zeit beim Wandern, Warten und Essen in den Bergen. Meist am frühen
Nachmittag erreichten wir bereits unser Nachtlager. Das hatte den
Vorteil sich noch bei Tageslicht duschen bzw. waschen zu können.
Eine richtige Dusche bzw. heißes Wasser aus der Leitung gab es nicht
immer, aber ein Eimer heißes Wasser wurde bis auf die höchstgelegene
Übernachtungsstelle auf 3.500 Metern immer angeboten. Strom war
hingegen so eine Sache. Solarzellen waren hier nicht unbekannt, der
Strom wurde aber fast ausschließlich für elektrisches Licht genutzt
– Steckdosen gab es nicht und auch oft noch nicht einmal ein
Lichtschalter. Auf meine Frage, wie wir denn das Licht ein- und
ausschalten sollten, wurde uns gezeigt, wie man halt die beiden
Drähte miteinander verbindet (Licht an) oder halt wieder
auseinanderwurschtelt (Licht aus). Praktisch oder?
Bustransport in Nepal
Nach fünf Tagen in den Bergen und
einem Zwischenstopp in Kathmandu ohne sonderlich groß Luft zu holen,
verbrachten wir noch ein paar erholsame Tage in Nagarkot, einem
kleinen Dörfchen oberhalb der nepalesischen Hauptstadt. Auf der
Webseite unserer Hotels fanden wir eine sehr bizarre Telefonnummer,
die mit 06131 anfing sowie der deutschen Ländervorwahl. Beim
Eintreffen im Hotel hatten wir diese Mainzer Telefonnummer aber schon
wieder vergessen. Erst als wir das Passwort für das WLAN des Hotels
vom Hotelpersonal mitgeteilt bekamen und das den Namen „Mainz“
enthielt, fiel uns die Telefonnummer wieder ein. Das „Eco Home“
in Nagarkot ist ein Gemeinschaftsprojekt von Nepalesen und dem
Mainzer Verein „Helfende Hände für Nepal“. Der Nepalesische
Inhaber war auch bereits vier Mal in Mainz gewesen – auf Einladung
des Vereins. Es war schon lustig, von einem Nepalesen die Eindrücke,
die er in meiner Heimatstadt gewonnen hat, erzählt zu bekommen. Vom
Moselwein und vom Marktfrühstück wurde da geschwärmt –
vielleicht sollte man ihm mal einen guten Rheinhessen-Wein kredenzen,
denn Moselwein in Mainz zu trinken ist ja dann doch etwas Fehl am
Platz. Aber das markanteste Ding für ihn, das uns vielleicht so
selbstverständlich ist, war die Sauberkeit von Deutschland. Und das
für ihn eindrucksvollste Gerät war die Kehrmaschine. Am Ende
erklärte er im Scherz noch, dass er den Leuten hier in Nepal
allerdings nie erzählen dürfe, was es kostet eine öffentlich
Toilette an einer Autobahnraststätte zu benutzen! Mit diesen 70 Cent
muss in Nepal ein Mensch den ganzen Tag lang auskommen!
Berpanorama in Nagarkot
Nach solchen Gesprächen und mit
solchen Eindrücken kommt man dann mit dem Gefühl nach Deutschland
zurück in einer Art Schlaraffenland zu leben. Natürlich ist bei uns
auch nicht alles super, aber manche unserer Alltagsprobleme
relativieren sich nach dem Aufenthalt am Dach der Welt doch
erheblich.
|