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Mainz, 12. Juli 2011
Julee,
aller Anfang ist schwer lautet ein bekanntes Sprichwort, das natuerlich fuer
uns auf dieser Reise besonders galt. Denn selbst nach dem Trek auf fast 4.900 m
Höhe hatten wir im Anschluss daran in Leh auf 3.600 Metern noch so manches
Kopfweh und so manche Kurzatmigkeit auszuhalten - und das nach 10 Tagen
Akklimatisierung!
Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs
Aber vielmehr gilt dieses Sprichwort fuer unseren 3-taegigen Jeep-Trip in das
Hochland von Changtang, einer grenzuebergreifenden Region von Ost-Ladakh bis ins
tiefste Tibet hinein: Nassir unser Fahrer wendete schon mal vor unserer Pension,
in der wir in Leh uebernachteten, waehrend wir unseren Kram anschleppten.
Dummerweise uebersah er das riesige Loch in der Strassendecke und ein ums andere
Mal brachte auch der Vierradantrieb nichts mehr, wenn ein Rad in der Luft ueber
dem Loch haengt. Hm, nun ja, ich hatte jetzt zwar kein ungutes Gefuehl was seine
Fahrweise anbetrifft, aber so konnte ich wenigstens mal schauen, ob die Jungs in
diesem Teil der Erde immer noch so kreativ bei Pannen sind, wie ich es
spaetestens seit unserer Afrika-Durchquerung 1995 in Malawi erlebte, als ein
verkohlter Motor mit dem Luftdruck des Ersatzreifens "gekaerchert" wurde. Und in
der Tat wurde ich nicht enttaeuscht: Mit dem Wagenheber bockten sie die Karre
hoch, Steine wurden unter das freie Rad bugsiert und nach einer Viertelstunde
sass der Wagen wieder auf allen Vieren.
Jetzt setzte sich eine Multi-Religions-Karawane in Bewegung: Nassir der
Fahrer (Muslim), Jigmet unser Fuehrer, der mit uns bereits durch Ladakh gelaufen
war (Buddhist), Sangea Shera unser Koch aus Nepal (entweder Buddhist oder Hindu)
sowie wir die Touri-Christen. In Ladakh kann man die Glaubensrichtung des
Fahrers uebrigens immer rasch erkennen: An einem Choerten (einem buddhistischen
Heiligtum) auf der Strasse duest der Muslim einfach vorbei, der Buddhist
umrundet diese hingegen im Uhrzeigersinn mit seinem Gefaehrt. Deswegen gibt es
in Ladakh optionale Kreisverkehre, die sich natuerlich auch fuer Franzosen
eignen, die auf Kreisverkehrentzug sind...
Fahrt durch das Tal des Indus
Mit unserem Jeep-Trupp ging es von Leh aus den Indus in sueostlicher Richtung
flussaufwaerts. Da das Hochland von Changtang an Tibet grenzt, brauchten wir
fuer diese Region ein so genanntes "Innerline Permit", das uns die Juns von
Dreamladakh (http://www.dreamladakh.com/) genauso arrangierten, wie die
wunderbare Crew fuer das Trekking oder fuer diesen Jeep-Trip. Ein erster
Kontrollpunkt an der Abzweigung der Hauptstrasse, die weiter ueber Manali nach
Delhi fuehrt, war relativ schnell passiert. Wir mussten nur kurz unsere Paesse
zeigen. Diese wurden mit dem Wisch Papier verglichen, den Nassir in 4-facher
Ausfertigung als Kopie mit dabei hatte, und auf dem unsere Namen sowie
Passnummern notiert waren, mit einem Stempel irgendeiner indischen Behoerde
drauf, die uns autorisierte, diese Gegend zu bereisen.
Auf dem ersten Teil der Strecke passierten wir mehr Militaerlager als
Doerfer, schliesslich ist die indische Armee der groesste Arbeitgeber von
Ladakh. Dies ist der politischen Lage Pakistan mehr und China weniger zu
verdanken. Dass das Verhaeltnis zu China trotzdem zumindest in der Vergangenheit
nicht gut war, zeigten einige Sprueche am Strassenrand z. B. "Beijing, Lhasa
(Hauptstadt von Tibet) we will be there" und ein Kilometerstein "Beijing 3.444
km". Schliesslich hat China bei der Besetztung von Tibet auch noch einen Teil
von Ladakh in den 50ern des letzten Jahrhunderts okkupiert und bisher nicht
zurueckgegeben.
Weiterfahrt auf der Jeep-Piste
Durch die Armeelager, war die Strasse in relativ gutem Zustand und wir kamen
fuer indische Verhaeltnisse sehr schnell voran (ca. 60 km/h). An einer Bruecke,
die den Indus ueberquerte, mussten wir den zweiten Check Point passieren. Dieses
mal hiess es in der Einoede warten, denn die Herren Militaer assen gerade zu
Mittag und natuerlich geht Essen vor Kontrolle. Irgendwann war der Lunch Break
zu Ende und wir durften die extrem enge, mit Gebetsfahnen uebersaehte,
Indus-Bruecke passieren - allerdings gab es eh keine Schranke, die die Passage
verhindert haette.
Yaks bei der Bachdurchquerung
Langsam stieg die Strasse vom Talgrund auf ca. 3.600 m Hoehe an und
ploetzlich war aus der Teerstrasse eine Schotterpiste geworden, denn die Trasse
fuehrte von der chinesischen Grenze weg und war somit militaerisch unbedeutend
aber bedeutend schoener: Wir passierten mehrere Yak Herden. Yaks sind eigentlich
die Kuehe des Himalayas. Aus der Milch laesst sich leckerer Kaese herstellen,
den wir auf Yak Cheese Sandwichs genossen, wenn wir in Leh auf eine Tagestour
gegangen sind. Spaeter rumpelten wir an Nomaden Zelten vorbei, denen diese Yak
Herden gehoerten. An einem kleinen See trafen wir dann auf eine extrem surreale
Szene, die wir zunaechst daran erkannten, dass neben den grossen Nomaden-Zelten
kleine moderne Wanderzelte standen. Nassir erklaerte uns den Grund: In dieser
herrlichen Bergkulisse wurde ein Bollywood-Film gedreht! Meine 3. Indienreise,
mein dritter Bollywood-Drehort (der erste in der Naehe vom Taj Mahal war
ebenfalls im Nirgendwo, fuer den zweiten in Shimla in den Bergen des
Vorhimalayas wurden wir sogar als Komparsen einer Hochzeitsszene angesprochen).
Nun ritt eine Schar Reiter am Seeufer in Hoechstgeschwindigkeit an der Kamera
vorbei und wir erreichten wenig spaeter unser Tagesziel den Tsomiriri-See auf
einer Hoehe von 4.500 m.
Der Tsomoriri-See
Der tiefblaue See ist fast vollstaendig von Schneebergen von bis zu 7.000
Metern Hoehe umgeben und es gibt nur ein kleines Dorf namens Korzok. Der Rest
des riesigen Seeufers ist unbewohnt und die kahlbraunen Ebenen, der weiss
leuchtende Schnee und das saubere Seewasser boten eine sagenhafte Szenerie. Es
war wirklich wunderbar dort EINE Nacht zu verbringen, nur hier am Ende der Welt
zu wohnen, waere der blanke Horror fuer mich. Leh, ebenfalls eigentlich am Ende
der Welt, liegt 8 Fahrstunden entfernt. Ein paar Satelitenschuesseln dienten
wohl als Empfaenger fuer das Geschehen der Aussenwelt. Nie habe ich mich wohl
wohler gefuehlt in Mainz zu wohnen als an diesem Abend mit dieser grandiosen
Naturkulisse.
Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See
Am naechsten Morgen unternahmen wir eine Wanderung am Seeufer, denn das
Bergangehen fiel uns dermassen schwer. Die Nacht bei Temeperaturen um den
Gefrierpunkt, war dank unserer guten Schlafsaecke ertraeglich, doch das
Fortbewegen auf dieser Hoehe war bereits im Flachen recht beschwerlich. So
liefen wir am Ufer entlang und hatten ein wenig den Eindruck an die Nordsee
gebeamt worden zu sein: Die Uferbepflanzung sah so aus wie am Wattenmeer und als
dann noch ein paar Moewen vorbeiflogen war die Impression der indischen Nordsee
perfekt. Natuerlich durfte am Dorfrand ein Militaerlager nicht fehlen. Doch die
Uniformierten hatten wohl nichts anderes zu tun, als eine Cafeteria zu
betreiben, in der wir Chai tranken und verdutzt auf die feilgebotenen kitschigen
Souvenirs, wie Teller mit der Beschriftung des Sees Tsomiriri glotzten. Soldaten
als Souvenirhändler und Teeverkäufer im Himalaya - Incredible India!
Gegen Mittag wurde es unertraeglich heiss. Die LSF 50 Sonnencreme bewahrte
uns vor Sonnenbrand aber ein Wandern war wegen des fehlenden Schattens
unmoeglich und wir rumpelten mit unserem Jeep weiter durch das Hochland an
weiteren Yak-Herden und relativ zahmen hellbraunen Murmeltieren vorbei. Die
Mittagspause auf einem kleinen Pass auf 4.900 Metern Hoehe haben wir gut
vertragen und dann ging es hinuntern an den Salzsee Tsokar und in ein weiteres
Kaff am Ende der Welt. Die Bewohner horten auf ihren Daechern den Yak-Mist, denn
dieser gilt als bestes Brennmaterial im kalten Winter mit Temperaturen von unter
-40 Grand Celsius im Extremfall bei fehlender Heizung im Lehmhaus. Und wieder
beschlich mich das komische Gefuehl im "Geburtslotto" einen 6-er mit der Heimat
der 05er gezogen zu haben.
Yak-Mist auf dem Dach
Nach einer weiteren kalten Nacht in grandioser leeren Landschaft, die sehr zu
Meditation anregte, fuhren wir auf einer Rumpelpiste zu Hauptstrasse Manali-Leh
zurueck. Diese war in extrem erbaermlichlichen Zustand, aufgrund der
Regenfaelle, die ich in #2 bereits beschrieb. Irgendwann waren wir am
Scheitelpunkt des Passes angekommen: Wir ueberquerten den Zentralhimalaya auf
mehr als 5.300 Metern Hoehe! Auf dem angeblich zweit höchsten befahrbaren Pass
der Welt, dem Tanglang La, ging es uns allerdings gar nicht gut. Ein kurzer Sprintansatz und schon
stellte sich ein extremes Schwindelgefühl ein. Also nichts wie runter von dem
Pass! Nassir meinte es besonders gut mit uns und nahm dem "Short Cut", eine
Buckelpiste praktisch senkrecht hinunter ins Tal. Ich kam mir vor wie in einer
Seilbahn, so steil war diese Abkürzung aber so gut ging es uns auch nach ein
paar Minuten und vielen verlorenen Höhenmetern.
Passhöhe des Tanglang La
Nach ein paar Stunden Fahrt erreichten wir wieder unser Basislager Leh, das
wir nun gestern verlassen haben, um mal wieder irgendwann in Deutschland
aufzutauchen. Auch nach der dritten Reise auf den Subkontinent bin ich von
Indien und seinen manches Mal etwas bizarren Bewohnern fasziniert. Nach dem 1.
Mal stellte sich bei mir eine Art Hassliebe ein, die beim 2. und erst Recht beim
3. Mal jetzt deutlich in Richtung großer Zuneigung umgeschwungen ist. Indien hat
große Probleme, aber die einfachen Menschen für die Politik verantwortlich zu
machen, geht meiner Meinung nach zu weit. Die größte Demokratie der Welt ist
sicherlich auf dem richtigen Weg - nur braucht halt alles in Indien sehr viel
Zeit - auch die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards. In einem
ZEIT-Artikel ging es letzte Woche darum, ob man in "Schurkenstaaten" wie es z.B.
Tunesien oder Ägypten bisher waren, Urlaub machen darf - die Meinungen gehen
natürlich auseinander. Gleiches gilt auch für Indien mit seinen großen sozialen
Gegensätzen - aber wer einmal von einem Land so richtig ergriffen werden möchte
(positiv oder negativ) sollte sich auf den Weg auf den Subkontinent machen!
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