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São Paulo – Brasilien, 23. April 2002
Bom Dia no São Paulo,
ich hoffe, Ihr habt weiterhin Lust auf kleine Geschichten, die man
während einer Reise durch Südamerika tagein tagaus erlebt. Die
letzte Mail endete am sagenhaften Kaieteur Wasserfall. Der
Wasserfall alleine wäre den bereits geschilderten etwas
turbulenten Flug vielleicht nicht Wert gewesen. Aber da Paul der
indianisch-stämmige Ranger nun mal sicherlich seine Bestimmung
gefunden hat, Stadtmenschen wie mir die Schönheit seiner
Heimat zu zeigen, sah ich dank seiner Hilfe einige leider selten
gewordene Vögel, die im Dickicht des Dschungels nur mit
geschulten Augen erkannt werden können. Auch die sog. Golden
Frogs, kleine wie der Name schon sagt, golden leuchtende
Frösche, die in Blatt-Trichtern leben, hätte ich sicherlich ohne
seine Hilfe nicht entdeckt, denn wer guckt schon permanent in am
Wegesrand stehende Blatt-Trichter hinein.
Die Tage an den Kaieteur Fällen, ohne Strom, fließend Wasser
(es stammt aus der Regentonne, die natürlich immer voll ist),
Autos, Strassen, Internet und anderen "Errungenschaften" der
Zivilisation gingen natürlich viel zu schnell vorbei. Mittlerweile
hatte ich mich auch damit abgefunden, wieder in das Flugzeug zu
steigen, das mich aus der "grünen Hölle" abholen soll. Als
Alternative zum Flug wäre mir nur eine dreitägige Wanderung in
Richtung der nächsten Straße geblieben. Da zog ich dann doch
letztendlich die Buschkiste vor. In Guyana ähneln diese
"Linienflüge" aber eher einer Busfahrt. Lediglich der
Anfangsflughafen und der Endflughafen stehen fest. Die Stopps en
Route bestimmen die mitfliegenden Passagiere. Im Office von
Roraima Airways, die mich nun wieder abholen soll, schaute ich
auch ganz genau, dass die Angestellte notierte, dass ich von den
Wasserfällen 2 Tage später wieder abgeholt werden wollte,
um dann weiter nach Süden in Richtung guayanisch-brasilianische
Grenze zu fliegen. Denn der "Flughafen" von Kaieteur Falls besteht
lediglich aus einer Holzschutzhütte, einem WC und einer ca. 400
m langen Piste. Zum Glück existiert wegen der widrigen
Wetterverhältnisse aber eine Wetterstation, die das aktuelle
Wetter an die Piloten funken kann, und auch im Notfall mal
anfragen kann, ob ein Flugzeug vorhat, hier zu landen. Denn leider
herrscht im tiefsten Regenwald, meist eher britisches Wetter:
Mit anderen Worten: Nebel und Regen.
Am Frankfurter Flughafen existiert daher für solche
Wetterverhältnisse ein sog. Instrumentenlandesystem, mit dem
der Pilot auch bei 0 m Sicht landen kann. Hier gibt es so was
natürlich nicht. Daher hieß es am Tag meiner geplanten Abreise:
Warten, denn die Sicht von vielleicht 300 m und eine Wolkendecke
in Höhe von ca. 150 m machten eine Landung unmöglich. Aber
der Ranger Paul und Susan von der Wetterstation machten mir
Mut, und vertrösteten mich darauf, dass es schon irgendwann
aufklaren wird. Der Pilot fragte auch den Wetterbericht über Funk
ab, gab aber auf unserer Frage, ob er landen würde keine
Antwort. Doch tatsächlich klarte es nach 2 bis 3 Stunden auf, und
plötzlich meinten Paul und Susan sie hörten ein
Motorengeräusch. Es konnte sich nur um meinen Flieger handeln.
In der Tat bemerkte auch ich nach ein paar Minuten ein
Brummen und kurz darauf war das kleine Flugzeug, das mich
wieder in die Zivilisation bringen würde, auch schon gelandet.
Wieder war ich der Einzige der diesmal einstieg und nach ca. 4
Minuten Bodenzeit, war der Flieger schon wieder in der Luft, um
nach ca. 20 Minuten in irgendeinem Indianerdorf zu landen, da ein
anderer Passagier abzusetzen war.
Eine Stunde später, nach einem äußert ruhigen Flug, änderte
sich die Landschaft abrupt. Der Regenwald wurde durch eine rot-
braun gefärbte Ebene abgelöst. Bald darauf setzte die Maschine
in Lethem, dem letzten Dorf vor der Grenze nach Brasilien, ca. 200
km nördlich des Äquators auf. Die Savanne, in der ich gelandet
war, sieht genauso aus, wie die berühmte Serengeti in Ostafrika.
Gemeinsam haben beide Landschaften einem großen Reichtum
an Tieren, mit dem Unterschied, dass es hier keine Löwen o. ä.
Artgenossen gibt, die mich hier von einer Radtour abhalten
könnten. So ging es mit dem Rad (ohne Gangschaltung aber mit
Placebo Bremsen) eines Einheimischen auf Safari! Am Pistenrand
stehen Strohhütten, die mich wieder stark an den schwarzen
Kontinent erinnern, doch aus den Hütten schauen mich hier
erstaunte Indianeraugen an. Das Schöne an Guyana ist die
Tatsache, dass die Amtssprache Englisch ist, und man daher
leicht mit den Einheimischen, die hier zu 90% Indianisch-stämmig
sind, in Kontakt treten kann. Auf die Frage, was ich hier so mache,
entgegnete ich in einem Gespräch am Wegesrand, ich sei
Tourist. Doch dieses Wort hatte mein Gesprächspartner, der
ansonsten nicht gerade von einem anderen Stern stammt, noch nie
gehört. Anscheinend ist die Spezies Touri hier wirklich noch eine
seltene Erscheinung. Die Leute wunderten sich zwar warum ich
hier mit einem Fahrrad durch die Gegend kurve, aber dies erweckte
bei Ihnen kein Misstrauen, eher Neugierde, wie das Leben in
Deutschland so sei.
Am nächsten Tag begab ich mich nun in das vierte Land meiner
Reise und musste mich nun mit der vierten Sprache
auseinandersetzten. In Surinam kam ich mit Englisch relativ gut
durch. In Französisch Guyana und Guyana gab es keinerlei
Sprachbarrieren, doch mit der Einreise nach Brasilien änderte
sich dies schlagartig. Der Grenzbeamte konnte noch einige
Brocken "Ingles". Doch seither komme ich mit meiner Frage "Vôce
fala ingles?" also "bitte bitte sprecht doch wenigstens einige
Wörter Englisch" nicht sehr weit. Es blieb mir nichts anderes
übrig, als auf der Busfahrt nach Boa Vista, dem ersten Ziel in
Brasilien, anzufangen Portugiesisch zu lernen, wollte ich nicht
ständig mit der Gebärdensprache eine Art rhythmischer
Sportgymnastik betreiben.
Obwohl ich mich nun immer mehr dem Äquator nähere, blieb die
Savanne beherrschend. Irgendwie hatten wir das doch im Erdkunde- Unterricht anders gelernt, oder? In Amazonien gibt es tropischen
Regenwald (so weit er nicht schon zerstört ist). Aber von
Savannen sprach meiner Meinung niemand.
Mit Brasilien erreichte ich ein Land der krassen Gegensätze. Hier
prallen erste und dritte Welt permanent aufeinander. Positiv für
mich als Reisenden stellt sich die Tatsache dar, dass man wieder
gute (Kredit)Karten hat. Sie werden glücklicherweise sogar im
Supermarkt akzeptiert, nachdem diese Plastikkarten bisher eher
als Ersatzlineal dienten, denn in den Guyanas war Cash
das einzige Zahlungsmittel. Auch konnte ich mich nun mit
äußerst komfortablen Bussen fortbewegen, die Strassen
waren wieder geteert und Schlaglöcher hatten meist
Seltenheitswert. Andererseits fuhr man oft an
Papphüttensiedlungen, den bekannten Favelas vorbei, die die
immer noch weit verbreitete Armut dieses Schwellenlandes zeigen.
Aber zwei Dinge scheint alle BrasilianerInnen zu einen: Als erstes
sei Futbol genannt!
In Boa Vista bummelte ich durch die Gassen während des WM- Testspiels Portugal gegen Brasilien. Überall gab es kleine
Kneipen am Straßenrand mit einem völlig überdimensionierten
Riesenfernseher, der das Spiel übertrug. Um den Fernseher waren
die Menschen versammelt, wie Bienen im Bienenstock um ihre
Königin. Die Gassen hatte ich praktisch für mich alleine. Und
plötzlich hörte ich aus allen Fernsehern nur noch das berühmte
GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL!
Und das obwohl die Portugiesen ein Tor schossen!!! Brasilien glich
dann durch einen Elfmeter noch aus, der die etwas trübe
Stimmung wieder aufhellte. Ich hatte keinen Moment dieses Spiel
eigentlich verfolgt, war aber permanent unwillkürlich auf dem
neuesten Stand der Dinge. Ich weiß ja nicht, was in dieser
fußballverrückten Nation abgeht, wenn es wirklich um die WM
geht, denn es war ja nur ein Testspiel. Das Testspiel der
Deutschen Elf gegen Argentinien wurde übrigens danach gezeigt,
aber ich halte es zur Zeit doch eher mit Mainz 05, deren Sieg
gegen Bielefeld, sogar über Weltempfänger und mit Hilfe der
Deutschen Welle bis zu den Kaieteur Wasserfällen
mitzubekommen war. Am Sonntag wurde ich dann noch Zeuge
einer Radioübertragung eines Fußballspiels in São Paulo. Der
Kommentator erinnerte mich in seinem oralen Output von sicher 10
Wps (words per second) an eine Kette Knallkörper, wie wir sie an
Sylvester immer loslassen. Nur mit dem Unterschied, dass bei
einem Feuerwerk nach ein paar Sekunden wieder Ruhe herrscht
und neu gezündet werden muss. Unser Kommentator hingegen
schoss sein Feuerwerk aus aneinander gereiten Wörtern 45 ganze
Minuten ohne Pause in den Äther. Lediglich alle paar Minuten hörte
man ein gewisses Röcheln, da anscheinend beim Reden
gleichzeitig ja irgendwie auch Luft in seine Lungen kommen
musste, um wieder neue Wörter hinausposaunen zu können. Der
Spielstand war übrigens die ganze Zeit 0:0!!!
Als zweites Merkmal, das alle BrasilianerInnen zu einen scheint,
sei der äußerst ausgeprägte Körperkult genannt. In diesem Land
kann man, um im guten britischen Understatement zu sprechen,
niemals "underdressed" sein, denn wenn die Mädels schon im
Bikini zum Einkaufen latschen, und die Jungs nur in knapper
Badeshorts zum Kippchen Rauchen auf die Strasse gehen, dann
kann man als Touri sich gar nicht mehr falsch anziehen. "Schönen"
Menschen in Brasilien, und das ist fast jede(r) hier, wird provokativ
hinterher (oder auch hinein) geschaut, nachgepfiffen oder auch
hinterher gehupt, je nach der logistischen Situation. Auch die
Ärmsten der Armen versuchen durch nobel anzusehende Kleidung
ihrem sozialen Umfeld zu entweichen, dabei zählt natürlich eher
die Qualität als die Quantität der Kleidung.
Allerdings gibt es in Brasilien auch äußerst viele Straßenkids, die
schon äußerst früh von zu Hause ausgesetzt, oder
verscheucht wurden, da die gesamte Familie nicht zu ernähren
war. Als weißer Tourist in Brasilien ist man natürlich das direkt
anzusteuernde Ziel eines jeden Straßenkids. Eine Regelung, mit
dieser penetranten Bettelei der Straßenkinder von Brasilien zu
unterbinden sei, zeigte mir auf der Busfahrt im "Terror Ship" von
"Bin Ladin" nach Georgetown, "Papi" ein Rastafarian aus einem
Dorf im Nordosten Brasiliens: Bettelt Dich jemand an, da er
anscheinend hungrig ist, biete ihm etwas zu Essen an. Hat diese
Person nun wirklich Hunger, wird sie auf Dein Angebot eingehen.
Möchte diese Person hingegen nur wieder ein paar Réais für einen
nächsten Pitú (Caipirinha) erhaschen, beißt sie bei Dir auf Granit.
Die Probe auf Exempel machte ich später in Manaus, wo ich von
Straßenkids nur so umringt war: Ein kleiner Junge wurde zur
permanenten Klette, da er um ein paar Centavos (Untereinheit von
Réal) bettelte. Da ich gerade kein Futter parat hatte, schleppte ich
meine "kleine Klette" bis zur nächsten Garküche mit, bei der es für
einen Réal (ca. 0,50 €) Fleischspießchen gab. Geduldig und
anscheinend wirklich hungrig wartete meine "kleine Klette" bis der
Spieß fertig gebraten war, und es war vielleicht für ihn die einzige (warme) Mahlzeit am Tag. In diesem Falle war also Papis Strategie
genau aufgegangen. Das Gegenteil hatte ich mit Papi auf der Fahrt
nach Georgetown auch öfters erlebt.
Was das Essen im Allgemeinen anbetrifft, ist Brasilien sowieso
das Paradies für jeden Gourmet: Entweder kann man für
umgerechnet 2,50 € "All U can Eat" erleben oder man geht in die
leckeren "Per Kilo Restaurants", in denen man sich den Teller mit
verschiedensten Spezialitäten volladen kann, und danach der Preis
(meist 3-4€ pro Kg.) nach dem Gewicht bestimmt wird.
Von der ersten größeren Stadt in Brasilien (Boa Vista) ging es über
640 km per Bus in Richtung Manaus. Das Bild der Steppe
wich in der Nähe des Äquators doch allmählich dem des
Regenwaldes bzw. der Rinderweide, die nach dem Abholzen des
tropischen Regenwaldes hier entstanden sind. Und plötzlich verriet ein
Schild "Bemvindo ao Equator". Wir haben mit unserem Bus
soeben den Äquator überquert. Genau an diesem Flecken Erde
herrscht zumindest für mich immer ein grässliches Wetter. Schon
1995 herrschte auf diesem berühmten Breitengrad am Mt. Kenya
Nebel und Temperaturen Nahe am Gefrierpunkt. Und nun in
Südamerika? Es spielte sich genau die gleiche Situation hier
nochmals ab: Schmuddelwetter am Äquator, allerdings bei 32°C!
Nach 13 Studen Busfahrt erreicht ich nun meinen ersten Endpunkt dieser
Reise: Manaus, die berühmte Stadt am Amazonas. Dabei liegt das
1,4 Mio. Einwohner zählende Manaus - an Einwohner mehr als die 3 Guyanas zusammengenommen - gar nicht am Amazonas nach
brasilianischer Definition.
Am sog. "Encontro des Aguas" (Zusammenfließen des Wassers)
ca. 12 km östlich von Manaus fließen der durch die Stadt ziehende
Rio Negro (schwarzer Fluss) und der Rio Solimões aus Peru kommend
zusammen. Lediglich die "letzten" 1.500 km Flusslänge bis zu
seiner Mündung in den Atlantik nennen die Brasilianer den Fluss
nun Rio Amazonas. An dieser Stelle des Flusses ist der Rio
Solimões schon seit 5.000 km auf seiner Reise Richtung Osten.
Am Encontro des Aguas fließt das schwarze, also wirklich
dunkler wirkende Wasser kilometerlang neben eher hellbraunen
des Rio Solimões entlang, ehe sie sich dann doch irgendwann
vermischen.
Mit dem Erreichen von Manaus hieß es nun für mich wieder
Abschied nehmen von Amazonien, zu dem die drei Guyanas
ebenfalls gehören. Ein besseres Abschiedsbild als die riesigen
Flussdampfer, die von Manaus entweder flussaufwärts bis nach
Tabatinga an das Dreiländereck Kolumbien, Brasilien, Peru in
ca.10 Tagen fahren, oder flussabwärts nach Belém in ca. 5 bis 6
Tagen konnte es für mich nicht geben. Gerne wäre ich mit einem
dieser Schiffe weiter gezogen. Doch stattdessen "durfte" ich
wieder einmal den "Luxus" eines Flugzeuges genießen. Dieser
"Luxus" bestand darin, um 3h10 morgens von Manaus nach São
Paulo fliegen zu dürfen und dadurch die harten Bänke der
Wartehalle des Flughafens in Manaus auf Schlafmöglichkeiten zu
testen. Erwartungsgemäß fiel der Test negativ aus.
Der Anflug auf die 20 Mio. Einwohner Metropole São Paulo war
äußerst beängstigend: Wir flogen über ein bis an den Horizont
reichendes Häusermeer. Von einer Landschaft war hier definitiv
nichts mehr zu erkennen. Daher hatte ich nicht gerade sonderlich
große Lust auf diesen "Moloch", nachdem ich für fast 3 Wochen
keine Hochhäuser, ja noch nicht einmal mehr 2- bis 3-stöckige
Gebäude gesehen hatte. Aber nicht die "Reize" dieser Stadt
brachten mich hierher, sondern vielmehr die Tatsache mal wieder
jemanden der weltweit verstreuten Schnickschnack-Gemeinde zu
besuchen.
Maria betreut in einem Vorort von São Paolo Kinder in einer Art
Kindertagesstätte für ein Jahr. Dadurch dass Maria nicht im
Zentrum sondern ca. 30 km davon entfernt lebt, war es gar nicht so
einfach sich mal kurz so in dieser Metropole zu treffen. Denn ich
spreche nun mal erst äußerst gebrochen portugiesisch und Marias
Gastgeber "não ingles" (kein Englisch). So kam es dass das erste
Telefongespräch etwas im Sande verlaufen ist, da Maria nicht zu
Hause war, und ich irgendwie vermitteln wollte, dass ich sie am
nächsten Tag besuchen wollte. Glücklicherweise haben Marias
Gastgeber ihr aber von diesem komischen Anrufer berichtet, und
letztendlich konnten wir uns dann doch noch treffen. Nach dem
Besuch bei Maria heißt es nun endgültig Adeus Brasil und es
geht nun wieder der Heimat entgegen.
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