Mainz, 15. April 2018
Es gibt Dinge im Leben, die braucht
wirklich niemand: Eine 3:9 Niederlage am Samstag Nachmittag gehört
bestimmt dazu und Montagsspiele sicherlich auch. Dass das eine mit
dem anderen zusammenhängt, liegt daran, dass vor dem Saisonstart
2017/2018 fünf Spiele in der ersten Liga mit der Begründung
eingeführt wurden, den Europapokal-Teilnehmern einen zusätzlichen
Tag Regeneration zukommen zu lassen.
Spielort Bruchweg - gibt es einen idealeren Ort zum kreativen Protest?
Da kurz nach der Winterpause nur noch
die Brausekicker aus Leipzig donnerstags spielten, war anzunehmen,
dass der Montagskelch an Mainz und Freiburg vorbeigeht, schließlich
hatte der SC seit seinem EuroLeague-Ausscheiden in Slowenien im Sommer 2017
genug Regenerationszeit erhalten. Interessanterweise spielt Leipzig
schon heute, nachdem sie tatsächlich
letzen Montag gegen Leverkusen ran mussten. Dumm nur, dass sie dann einen Tag
weniger Pause hatten, um anschließend in Marseille 5 Tore
eingeschenkt zu bekommen. Logisch wäre es gewesen, Leipzig nach der
Europa-League-Woche den morgigen Montag zu geben und nicht zwischen den beiden
internationalen Spieltagen – aber mit Logik kommt man heute wohl
nicht mehr allzu weit.
Nachdem es Bremen und Köln bereits
genauso traf, die ebenfalls nicht (mehr) international spielten, war
ich gespannt, wie die Reaktion in Freiburg und Mainz auf die Ansetzung ausfallen würde.
Positiv angetan war ich zunächst einmal von einem nett formulierten Brief
unseres neuen kaufmännischen Vorstands, den er nach Frankfurt zur
DFL sandte, und nachfragte, womit denn diese Ansetzung von Mainz
gegen Freiburg an einem Montag zu begründen sei. Schließlich hatte
es für mich den Anschein, dass mein Fußballsportverein in den
letzten Jahren allzu oft den rot-weißen Schwanz einzog, wenn es um
Haltung gegenüber der DFL, dem DFB oder der Zeitung mit den vier
großen Buchstaben ging. Eine schlüssige Antwort erhielt Jan Lehmann aus dem 05-Vorstand zumindest öffentlich nicht, soweit ich mich entsinnen kann.
Wunderbare Stadionordnung und Werbeplakat mit den Logos der Fanvereinigungen aus beiden Städten
Denjenigen, die die Idee hatten,
einfach trotzdem zu der Uhrzeit einen Kick anzusetzen, die
wahrscheinlich den meisten Stadiongehern in den Kram passt, sprich
samstags halb vier, gebührt ein großes Dankeschön. Denn damit bot
sich die Gelegenheit, nicht nur gegen etwas zu sein, sprich gegen Spiele zur Unzeit am Montag, sondern auch für etwas zu sein: Für
einen Kick samstags um halb vier, für kreativen Protest, für
gemeinsames Aufstehen und Gegeneinanderspielen beider Fanlager, für
Support, für ein Ausrufezeichen an gelebter Fankultur.
Überall wurde bereits Wochen vor dem
Kick mit dem Slogan „Samstags halb vier – Fußball, Bratwurst,
Bier!“ der Fankick zwischen den Teams aus dem Breisgau und
Rheinhessen beworben. Mit Jürgen Girtler wurde ein kompetenter Pressesprecher ernannt, der schon letztes Jahr souverän das CrowFANding fürs Fanhaus Mainz medial begleitete. Und mit Petr
Ruman wurde auf Seiten des FSV ein kompetenter Trainer verpflichtet. In den
letzten Tagen vor dem Spiel wurde mit Plakaten (sogar offiziell
genehmigt von der Stadt Mainz) überall in der goldenen Stadt am
Rhein dafür geworben – mit den Logos der Fangruppierungen aus
Freiburg und Mainz!
Mit Spendenbüchsen wurde für die Fahrtkosten der Freiburger gesammelt
Die Location, in der der Kick
stattfinden sollte, war natürlich der absolute Knaller: das Stadion
am Bruchweg, Spielort der Nullfünfer bis 2011 und weiterhin gefühlte
Heimat des Fußballsportvereins von 1905. Keine Ahnung, wer das mit
dem Verein hinbekommen hat, das Ding am Bruchweg steigen zu lassen,
ob Supporters, Fanabteilung, Fanbeauftragte, Fanprojekt, (Fanvertreter
im) Aufsichtsrat, oder vielleicht alle zusammen? Auf jeden Fall ein
weiteres großes Dankeschön dafür! Somit war alles gerichtet, für unseren
Kick am Samstag, um halb vier im Stadion am Bruchweg.
Für Fans wurde nur die Gegengerade geöffnet. Die Nordtribüne gibt's nicht mehr, bis auf die Sitze, die Ihr Euch im Rahmen des CrowdFANdings letztes Jahr gesichert habt, die Südtribüne
zierte ein großes Spruchband in rot-weiß „Samstag halb vier –
Fußball, Bratwurst, Bier“ und auf der Haupttribüne nahmen auch
ein paar Nasen platz – vielleicht die Handkäsmafia oder die
Hautevolee aus der Stadt Gutenbergs... Am Eingang zur Gegengerade prankte eine
eigens für diesen Tag geltende Stadionordnung, in der
publiziert wurde, was hier nicht hin passt: Keine Homophobie, kein Faschismus,
kein Sexismus, kein Rassismuss, kein Hass. Wäre schön, wenn
diese Bestandteile in allen Stadionordnungen der Republik fest
verankert und dementsprechend gelebt würden - und Clubs, die dafür einstehen, den entsprechenden Rückhalt, von den Verbänden erhielten!
Sehr leckere Verpflegung zu sehr moderaten Preisen
Wenige Meter weiter waren
Sammelbüchsen aufgestellt worden „Samstag halb vier“ prankte auf
diesen und es bleibt zu hoffen, dass diese sich mit der Zeit füllten,
galt es doch, die Anreise der Freiburger ein wenig mitzufinanzieren - schließlich werden viele innerhalb von zwei Tagen zweimal Gäste in unserer Stadt sein.
Wenige Meter weiter wurde der edlen Spenderin und dem edlen Spender
die gute Tat gleich vergolten, wenn diese einen Blick auf die Verpflegungsstellen warfen: Einerseits monetär mittels sehr fairer Preise, andererseit
mit allerlei Leckereien wie Spundekäs' mit Brezeln oder
Couscous-Salat oder der "Hellen Begeisterung", dem Bier von Kuehn Kunz
Rosen, der Mikrobrauerei, die gleichzeitig Nachbar im alten Rohrlager
der neuen Heimat aller Nullfünfer ist: dem Fanhaus Mainz! Übrigens
gibt es die "Helle Begeisterung" exklusiv nur bei Veranstaltungen des
Fanprojekts Mainz – da Kuehn Kunz Rosen den edlen Stoff nur fürs
Fanhaus braute! Danke und Prost!!!
Die Stahlrohrtribünenstufen nuff und
ein Blick nach rechts in den Gästeblock führte zu einem Rattern in
meinem Gedächtnis. Wolfsburg mal mittwochs abends erste Liga, ca. 23
Fans, Paderborn dienstags spätnachmittags zweite Liga, ca. 20 Fans davon einer auf dem Platz, um die Aufstellung zu präsentieren –
Freiburg samstags zum Fankick ca. 300 Fans! Soviel Hüte kann man gar
nicht dafür ziehen! Emi Schömer, der Stadionsprecher, der es letztes Jahr in
Mainz eingeführt hat, die Aufstellung endlich erst kurz vor dem Auflaufen
der Mannschaften zu präsentieren, war wieder aktiv und durfte in den
folgenden 90 Minuten über Langeweile beim Toreverkünden nicht
klagen.
Neben Gauls Catering verpflegten auch die Ultras und andere Fans die Stadiongängerinnen und Stadiongänger
Die Stimmung in beiden Blöcken
war hervorragend und plötzlich lag der Ball im Mainzer Tor. Die
Freiburger im Gästeblock rasteten erwartungsgemäß komplett aus – bis der Schiri
die mittlerweile berühmte Yogaübung für Arme durchführte und den
Videobeweis anforderte: nach einer längeren Diskussion, die mal wieder dazu führte, dass es zu einer Zweiteilung der Fußballfans kam. Als Stadiongänger wusste man nicht, wohin mit seinen Emotionen und als imaginärer Fernsehzuschauer tat sich ganz plötzlich die Möglichkeit auf, entspannt zum Klo zu gehen oder ein kühles Bier aus dem Kühlschrank zu holen, da das ja jetzt ohnehin wieder ein zwei Minuten dauern würde, ehe entschieden ist., Anscheinend war man sich letztlich einig –
den Videobeweis in die Tonne zu kloppen!!!
Der Videobeweis wird am Bruchweg entsorgt - den braucht in der Form niemand, genausowenig wie Montagsspiele
In Halbzeit zwei dann der nächste
Aufreger, als ein vermummter Flitzer den Bruchweg stürmte. Ein Leben
lang...dieselbe Unterhose an...man konnte zumindest von der königsblauen
Farbe der Unterhose des Flitzers Assoziationen mit einem Ruhrpottklub
herstellen. A propos Ruhrpott: Unterstützung erfuhren die Nullfünfer
an diesem Tag auch aus Duisburg – Respekt auch an die Zebrafans,
die den Weg am Samstag hierher gefunden haben.
Tore sind schließlich auf beiden Seiten gefallen –
auf der einen mehr, auf der anderen weniger. Dennoch wurde der
Nullfünfer-Trainer Petr Ruman frenetisch gefeiert, zunächst am
Spielfeldrand – danach als Elfmeterschütze, als er sich selbst
einwechselte. Elfmeter und Ruman, da war doch was...ich sag nur
Zandi, Torlinie, DFB-Pokal, Dezember 2005 ;-)
Ein Leben lang...dieselbe Unterhose an...Schwarz-gelb macht Jagd auf Königsblau
So um 17.18 Uhr war der Kick beendet,
die Feierei in beiden Fanlagern aber noch lange nicht. Mit einer
La-Ola wurden die Breisgau-Brasilianer Vol. 2 vom Mainzer Block
verabschiedet und das Ergebnis war da schon längst wieder vergessen
bzw. gar nicht auf dem Schirm (der lag ja in der Tonne).
Vielmehr ging ein wunderbarer, friedlicher, warmer
Frühlingsnachmittag an einem historischen Ort zu Ende. So
viele Menschen haben dafür teilweise wochenlang harte Vorarbeit
geleistet. Ein letztes großes Dankeschön an alle Beteiligten. So macht
Protest Spaß, Sinn und eine 3:9 Niederlage sogar noch Freude, nur
Montagsspiele braucht wirklich niemand!
Ein gelungener Samstag-Nachmittag, der soviel besser als ein Montag-Abend ist
Hier geht es zu allen Bildern des Spiels.
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