Mainz, 9. Oktober 2016
Hallo aus Mainz,
„Wenn jemand eine Reise tut, dann
kann er was erzählen“ - so der deutsche Dichter Matthias Claudius
vor mehr als 200 Jahren. Das gilt heute eigentlich unverändert und
lässt sich auch wunderbar auf jede noch so kurze Auswärtsfahrt, etwa in
den Frankfurter Stadtwald, übertragen. Die bis dato längste
Auswärtsfahrt mit unserem Fußball- und Sportverein von 1905 führte uns
pünktlich zum 100-jährigen Vereinsjubiläum nach Armenien.
Doch der Fußballgott wollte diese Fahrt natürlich zum runden 111-jährigen
Vereinsgeburtstag nochmal ein wenig toppen: So wurde uns Ende August der FK
Qäbälä aus Aserbaidschan zugelost.
Bereits die ganze extrem lange
Sommerpause fieberte ich diesem Termin der Auslosung entgegen und war mit dem
Ergebnis eigentlich recht zufrieden. Natürlich hätte es auch
Kasachstan sein dürfen, denn wenn schon weit weg, dann doch bitte
gleich mal einen neuen Länderpunkt sammeln, aber eigentlich war
Aserbaidschan schon ein sehr schickes Los, da dieses Land mich
bereits bei meinem ersten Besuch 2009 sehr in seinen Bann gezogen
hat. Dumm nur, dass es 2009 noch das Visum bei der Ankunft gab. Erst
im Laufe des Tages der Auslosung wurde mir im Gespräch mit anderen
05ern bewusst, dass wir beim Los „Aserbaidschan“ um eine
Beantragung eines Visums nicht herumkommen würden. Dann kam die
Auslosung und bämm - wurde uns natürlich das Team aus dem Kaukasus
zugelost.
Am Tag der Auslosung wurde dann die
Arbeit recht schnell beendet und sich mit den wirklich wesentlichen
Dingen beschäftigt: Wie das Visum bekommen und wie hinkommen. Klar,
die einfachste Variante wäre der Nonstop-Flug mit Lufthansa gewesen.
Aber wenn man schon den Länderpunkt Aserbaidschan hat, dann sollte
doch bitte auf der An- oder Abreise noch ein neuer Länderpunkt drin
sein. Gut, so viele Airlines fliegen nicht dorthin und mit Aeroflot
aus Russland, Turkish Airlines oder Ukraine Intl. hätte es auch
keinen neuen Länderpunkt gegeben. Aber wieso nicht mal mit Qatar
Airways? Das Ticket mit 21 Stunden Stopover war gleich freitags
nachts gebucht und ebenfalls mitten in der Nacht ging es an die
Beantragung des E-Visums, was sich als einfachste Variante
herausgestellt hatte, da das Konsulat von Aserbaidschan in Frankfurt
mittlerweile dicht gemacht hat. Und nach Stuttgart oder Berlin zu
düsen, darauf hatte ich nun nicht wirklich Lust, da das Hertha-Spiel
erst im November stattfindet und wir diese Saison erst gar nicht nach
Stuckitown in der Liga fahren werden.
Die Beantragung des E-Visums setzte
zwar einige Kenntnisse von Photoshop heraus, da man sämtliche
Dokumente in ein JPG-Format konvertieren musste, das Passbild ein exakt vorgegebenes Format einhalten musste, seitenlange Anträge
auszufüllen waren und ich dann noch gutgläubig meine Kreditkartendaten
preis gab. Aber am Ende klappte alles wunderbar. Nach 5
Arbeitstagen (aserbaidschanisch gerechnet), was ca. 14 Tagen
entsprach, stand das Visum zum Download bereit und bereitete uns
keinerlei weitere Kopfschmerzen.
In der Zwischenzeit spielten unsere
rot-weißen Jungs ihr Premierenspiel im Stadion am Europakreisel
gegen St. Etienne und nur 20.000 Leute, wollten sich das Gekicke
angucken. Ich kapiere es einfach nicht, warum auch schon 2011 gegen
Medias und 2014 gegen Tripolis so wenige Leute Bock auf
internationalen Fußball made in Meenz haben. Klar, die Liga hat
Priorität, aber wie geil ist es eigentlich vor 25 Jahren noch
regelmäßig in der Oberliga Südwest gegen Eintracht Trier gespielt
und dann lange Jahre gegen Fürth verloren zu haben und jetzt
plötzlich in der Europa League Gruppenphase mitzumischen. Die
Hertha-Fans würden wohl gerne mit uns tauschen...
Knapp zwei Wochen nach der Heimpremiere
ging es schließlich los, zur längsten Auswärtsfahrt ever. Die 6
Stunden nach Doha vergingen im wahrsten Sinne wie im Flug und es erwartete einen das
Austragungsland der Fußball WM 2022: Katar. Kaum gelandet gab es das
erste Problem! Wie einreisen? An jedem normalen Flughafen gibt es für
ankommende Passagiere zwei Schilder (plus die fürs WC): Ankunft und
Transfer, sprich einmal der Hinweis für die, die einen Weiterflug
haben und einmal für die normalerweise sich in der Mehrheit
befindenden Leute, die hier ankommen und bleiben möchten.
Anders in Doha: Hier gab es nur
Transfer. Ja, wir wollten auch nach Baku, aber bitte erst in 21
Stunden. Wie können wir hier am ultramoderenen
Super-Dupi-Mega-Airport einreisen? Das Personal war etwas überfragt.
Wer will bitte schon nach Doha? Na ja, spätestens zur WM in 6
Jahren, kenne ich da ein paar Nasen, die sich das Land geben wollen.
Nach mehrmaligen Durchfragen konnten wir dann die
Sicherheitskontrolle in umgekehrter Richtung passieren und schafften
es tatsächlich zur „Immigration“. Anders als für
Aserbaidschan bekommt man für Katar sein Visum tatsächlich am
Flughafen (wenn man es denn zur Immigration schafft). Das einzige,
was die freundliche Dame wirklich interessiert hat, war die
Kreditkarte, zur Bezahlung der umgerechnet 25 € Gebühr für das
Visum und schon waren wir drin.
Da es mittlerweile 2 Uhr morgens war,
ging es ruckzuck mit dem Taxi ins Hotel und am nächsten Morgen
staunten wir nicht schlecht, als wir die Vorhänge im Zimmer
zurückzogen. Wir blickten auf eine riesige Baustelle und unfertige
Gebäude auf denen Inder und Nepali sich Tee im Schatten kochten.
Tatsächlich kam ich mir eher wie in Indien vor als wie im, nach
Bruttosozialprodukt pro Kopf gerechnet, reichsten Land der Erde. Der
Kaiser Franz sagte ja, er hätte keine Sklaven auf den WM-Baustellen
gesehen. Vielleicht hätte er halt mal in der Innenstadt von Doha aus
dem Fenster gucken sollen. Klar steht den Leuten nicht „Sklave“
auf der Stirn und die Leute sind ja tatsächlich aus freien Stücken
in diesem Land. Aber es ist halt auch nicht zu leugnen, dass diese
Menschen in ärmlichen Verhältnissen das Land Katar für die WM
aufrüsten.
Viele haben ja ein massives Problem
damit, dass die WM dort bald stattfindet. Ich denke allerdings, dass
jeder Mitgliedsstaat der FIFA das Recht hat, dieses Turnier zu
veranstalten. Nur weil wir ein paar Mal Weltmeister wurden und
anscheinend irgendjemand irgendwelche Entscheider gut bezahlt hat,
sollten ausschließlich wir Europäer, Amerikaner, Südafrikaner oder
Ost-Asiaten ein Recht haben, WM-Veranstalter zu werden? Es ist doch
gut, dass Katar und die dortigen Arbeitsbedingungen jetzt mindestens
noch sechs Jahre im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Und Katar
muss über kurz oder lang diese Bedingungen verbessern, möchten sie
nicht als die Buhmänner des Fußballs dastehen. Ich habe vor 3
Jahren in Nepal mit Leuten gesprochen, die Katar über den grünen
Klee gelobt haben, da sie dort ein vielfaches von dem als
Gastarbeiter verdienten als in Kathmandu. Von daher müssen wir wohl
mal unsere Schwarz-Weiß-Malerei überdenken.
Dass die WM nur noch eine große
Marketingveranstaltung ist, weiß eh jeder, der sich mit dem Fußball
ein wenig beschäftigt, und da ist es doch weitaus schöner, mit dem
lokalen Fußballverein mal international zu fahren. In diesem Sinne
sind wir dann nach 21 Stunden in diesem etwas bizarren Land, dessen
Einwohner wir eigentlich gar nicht zu Gesicht bekamen, sondern nur
dessen Gastarbeiter, dann mal weiter nach Baku geflogen. Bei all den
Problemen, die es aktuell mit der Migration von Menschen gibt, war es
interessant zu sehen, dass die Kataris wohl irgendwie überhaupt kein
Problem haben, dass so viele Fremde in ihrem Land leben und arbeiten
und somit den Wohlstand ihres kleinen Landes wohl eher vermehren, als
diesen zu bedrohen.
3 Stunden später erreichten die
Hauptstadt Aserbaidschans und wieder war es zwei Uhr nachts.
Normalerweise verlasse ich die Gepäckausgabe und gehe an zahlreichen
Menschen, die Pappschilder in die Höhe halten, ein wenig neidisch
vorbei, da auf mich niemand wartet und ich mich stattdessen mit den
lokalen Taxifahrern auf einen akzeptablen Preis einigen muss. Doch
dieses Mal erblickte ich glücklicherweise gleich meinen Namen und
war froh, dass das Hotel tatsächlich Sahin, unseren Fahrer schickte.
Das Hotel erhielten wir mit dem E-Visum, da man dieses Papier nur
bekommt, wenn man noch eine Zusatzleistung wie Hotel oder
Altstadttour gemeinsam bucht. Das Hotel lag direkt in der Innenstadt
und nachts um zwei war der Verkehr dann sehr spärlich, so dass es
ruckzuck ins Hotel ging, denn schließlich war bereits seit mehr als
zwei Stunden Spieltag.
Das Schöne an Baku, was viele ja als
„Klein-Dubai“ bezeichnen, ist neben dem so viel angenehmeren Klima als in Dubai die Tatsache, dass diese Stadt
einerseits ihren Zugang zum Meer in einen Nationalpark umgewandelt
hat, an dem man auf einer Promenade kilometerweit flanieren kann und
andererseits blieb die mittelalterliche Altstadt und die Neustadt mit ihren
Häuserzeilen aus dem 19. Jahrhundert vom Bauwahn der 2000er Jahre
verschont. Die monströsen Glaspaläste als Zeichen des Reichtums durch Öl und Gas wurden auf die Hügel und an
den Stadtrand gebaut. Trotzdem wurden leider für manche
Prachtbauten, z.B. für die Austragung des Grand Prix d'Eurovision
2012, dennoch zahlreiche Häuser einfacher Leute abgerissen. Auch
hier ist wieder einmal Schwarz-Weiß-Malerei nicht wirklich
angebracht. Klar ist der Abriss absolute Kacke, aber andererseits ist
die Stadt abends voll mit Leuten, die in die Kaffees, Kneipen und
Bars strömen – in einem muslimischen Land. Hier genießen die Menschen ihr Leben, die Sicherheit und den bescheidenen Wohlstand. Man geht zu Vapiano essen und zu Starbucks Kaffee trinken - egal ob mit Kopftuch (eher die Ausnahme) oder ohne Kopftuch (die große Mehrheit). Und die
Regierung pumpt Millionen ihres Geldes, das sie durch Bodenschätze
einnimmt, in die Infrastruktur des Landes. Andererseits legt sie auf
die Meinung ihrer Bürger, insbesondere wenn diese von ihrer Meinung
abweicht, nicht sonderlich viel Wert. Meinungsfreiheit geht wohl wirklich anders.
Vielleicht sollten wir uns tatsächlich
mal glücklich schätzen, mit dem was wir in Deutschland haben, sprich
einigermaßen Wohlstand (im Vergleich zu 99% aller anderen
Erdenbewohner) und Demokratie, die das Recht auf freie
Meinungsäußerung einschließt. In Aserbaidschan geht es vielen
Menschen wohl einigermaßen ok – was in dieser Weltregion schon mal
viel Wert ist, wenn man an die aktuellen Verhältnisse in den
Nachbarländern Syrien, Irak oder Türkei denkt. Aber natürlich
fehlt das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freie Wahlen.
Aber einfach das Land arrogant als Diktatur abhandeln, ist halt auch
zu einfach. Sahin unser Taxifahrer erzählte, er und seine Familei
hätten kein Interesse ihr Land zu verlassen, um etwa nach
Deutschland zu kommen. Sie möchten hier etwas aufbauen, so z.B. auch
in Lahic, dem Bergdorf 200 km westlich von Baku, das wir mit Sahin am
Wochenende besuchten. Rustam unser Guesthouse-Besitzer schaffte es
einen luxuriösen Homestay zu schaffen – mitten in den Bergen ohne
Teerstraße, dafür mit WLAN-Empfang. Die Verbindung war so gut, dass
man sogar 05er TV gucken konnte – ohne ruckeln und das mitten in
der Pampa des Kaukasus. Würde dies mal in Hotels in Deutschland so
gut funktionieren... Und von wildfremden Menschen Äpfel auf der Straße geschenkt zu bekommen, habe ich bisher immer nur in muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, Syrien oder Eritrea erlebt.
Zurück in Baku wurden wir von unseren
ständigen Begleitern, die streunenden Katzen wieder herzlich
begrüßt, da wir seit unserer Ankunft mehr als ein Kilo Katzenfutter
unters Katzenvolk gebracht haben. Die Tiere sahen durchweg gepflegt
aus und waren auch relativ gut genährt. Trotzdem machten wir uns mit
dem aserbaidschanischen Kitekat ständig neue Freunde und natürlich sollten auch diese
Vierbeiner etwas davon haben, wenn Mainz 05 mal international spielt und
wir fast eine Woche und mehr als 12.000 km für unseren Fußballverein
bis in den Fernen Osten Europas unterwegs sein durften.
In disem Sinne - rot weiße Grüße und einen guten Start in die Woche!
Christoph
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