Mainz, 28. Oktober 2017
Hallo aus Mainz,
„nach 12 Jahren habe ich es
endlich geschafft, wieder nach Armenien zu reisen. War es im Jahr
2005 das pure Losglück im Europapokal, das mich in die
Kaukasus-Region brachte, was sich übrigens mit Aserbaidschan im
letzten Jahr nochmals wiederholte, bot sich dieses Mal recht spontan
die Möglichkeit, endlich mal dieses wunderschöne Land länger zu
bereisen, als für die Dauer eines Fußballspiels und einer
Gratis-Übernachtung, die der FSV Mainz 05 im Sommer 2005 allen
Auswärtsfahrern bezahlte. Schließlich „qualifizierte“ sich
Mainz „nur“ über die Fairplay-Tabelle für den europäischen
Wettbewerb – daher diese große Geste des Vereins.
Wurden wir damals mit als
Teilnehmer im Fanflieger mit dem Bus vom Flughafen in die Hauptstadt
Erevan gekarrt, stand jetzt, wie so oft, die erste „Prüfung“
nach Verlassen der Ankunftshalle auf dem Programm: mit dem Taxi zu
einem realistischen Preis in die Stadt gelangen. Dummerweise spucken
Geldautomaten an Flughäfen durchweg die größten Scheine aus, die
ein Land zu bieten hat. Mit lauter 20.000 Dram-Noten (ca. 34 €)
„bewaffnet“ ging es ans Verhandeln. 5.000 Dram galten als
realistisch und 6.000 Dram wollte der Fahrer. Ich bot lediglich 5.000
Dram an, mit dem Verweis, dass ich aber nur 20.000 Dram-Scheine habe.
5.000 Dram waren nach freundlich bestimmtem Wortgefecht ok und los
ging die Fahrt, da mir „no problem“ entgegnet wurde, was die
Banknoten anbetraf. Am Hotel in einer dunklen Seitenstraße am späten
Samstagabend angekommen, wartete ich auf die 15.000 Dram Wecheselgeld.
Aber natürlich hatte der Fahrer in seiner Tasche nur 14.000 Dram
dabei – entweder war das die Wahrheit, schließlich fischte er mit
einem Griff das Bündel raus oder ich wurde mal wieder von diesem
Berufsstand verarscht – sei’s drum: 1,70 € „verloren“ und
dafür wieder ein Stück Reiseerfahrung gewonnen. Das nächste Mal
kaufe ich dann doch wieder eine überteuerte Flasche Wasser am
Airport, um Kleingeld griffbereit zu haben. Und 500 Dram „Trinkgeld“
hätte ich dem hilfsbereiten, freundlichen Fahrer ohnehin gegeben…
Am folgenden Tag wurden
wir von unserem Guide zu einer herrlichen Wanderung in der Umgebung
von Erevan abgeholt. Durch den Basalt-Canyon Simfoniya kamnya zu Deutsch "Sinfonie des Steins" ging es zu einer
Klosterruine hoch über dem Tal. Das Schöne am Internet ist für
mich die Tatsache, dass man mit ein wenig Geduld kleine lokale
Unternehmen findet, die z.B. diese Tagestour organisieren. So bleibt
das zu entrichtende Geld im Land, statt z.B. zu einem Großteil bei
einem ausländischen Reiseveranstalter zu landen. Und viele dieser
kleinen Agenturen trainieren ihre Leute auch entsprechend der
versprochenen Öko-Tourismus-Regeln. Das zeigte sich beispielsweise
auf dieser Tour am Rastplatz zum Mittagessen. Während wir noch die
herrliche Aussicht genossen, sammelte unser Guide Müll von anderen
Wanderern ein. Die halbvolle Wodkaflasche nutzten wir allerdings noch
zur Desinfizierung unserer Hände vor dem Essen als „Sanitizer“.
Den Müll schleppten wir dann den Berg in den Tüten unserer
Lunchpakete hinunter.
Diese Lunchpakete waren
bereits eine perfekte Einstimmung auf das herrliche
armenisch-vegetarische Essen, das wir die nächsten Tage genießen
durften (so lange dieses im Magen blieb – doch dazu später mehr).
„Vegetarier“ sind in der Kaukasusregion erstens keine Unbekannten
(wie bspw. In großen Teilen Argentiniens) und sie kommen auch voll
auf ihre Kosten. Dieses Mal gab es Rote-Beete-Salat mit Kartoffelbrei
und hochdünne Fladen mit Spinat gefüllt. Dazu „Tan“, ein
Milchgetränk, das Ayran sehr ähnlich ist.
Das Thema Müll ist ein
Umstand, der einem ja praktisch auf allen Reisen weltweit begegnet.
In der Vergangenheit waren die Guides diesbezüglich auch recht
unsensibel. Teilweise trugen sie (und damit auch ich) noch dazu bei
diese zu verschmutzen, doch vor zwei Jahren auf Lombok wurde ich
erstmals positiv überrascht. Die lokale Agentur trug das Wort
„Green“ nicht nur im Namen. Vielmehr sind ihre Guides und Träger
am Vulkan Rinjani angewiesen, tatsächlich Müll am Berg einzusammeln
und diesen runterzutragen, während gleichzeitig einige Backpacker
weiterhin ihren Müll einfach so in die Gegend warfen, weil das ja
angeblich die Locals auch so machten. Nach der Aufräumaktion am
armenischen Havuts Tar ging es zurück in die Hauptstadt Erewan, denn
am nächsten Tag sollte unser Armenien-Abenteur erst so richtig
beginnen…mit dem eigenen Auto.
Mietwagenreisen sind ja
populärer denn je und auch in etwas ungewöhnlicheren
Mietwagenregionen wie auf Mauritius oder auf Bali waren wir schon
selbst mit dem Wagen unterwegs. Daher war einer der wenigen
hilfreichen Tipps der neuesten Kaukasus-Ausgabe des Lonely Planets
der, möglichst mit Mietwagen das Land zu erkunden. So ging es mit
einem etwas höher gelegten Toyota Corolla, der schon ziemlich viele
Kratzer und sogar schon einen kleines Riss in der Windschutzscheibe
hatte, auf Tour. Hochgelegt, Kratzer, Riss in der Scheibe –
Armeniens Straßen ließen interessante Fahrten erahnen. Dabei sind
es in Ländern wie Armenien, in denen weit mehr als ein Drittel der
Bevölkerung in der Hauptstadt wohnt, meist der Anfang und das Ende
der Mietwagenfahrt, die größte Bewährungsproben, da oftmals der
Verkehr in der Stadt am dichtesten, am chaotischsten, am
rücksichtslosesten ist. Kommt dann noch ein Gewitterregen dazu, der
die Straßen in reißende Bäche und die Myriaden von Schlaglöchern
in eine armenische Seenplatte verwandelt, dann wisst Ihr, dass ich
gerade vom Start der Reise berichte.
Ein eigentlich
verlässliches Hilfsmittel, das Navi auf dem Smartphone, das mit dem
Straßenwirrwarr Erevans auch sichtlich überfordert war, und immer
recht plötzlich seine Meinung zum geplanten Fahrtverlauf
kommunizierte, tat sein Übriges, dass ich anfangs die Mietwagen-Idee
allerdings verfluchte. Der Umstand, dass wir auf einem
Feldweg-ähnlichen Sträßchen schließlich die Hauptstadt nach
einigen Umwegen verließen, war mir auch etwas schleierhaft, da wir
wenig später dann auf eine gut geteerte Autobahn bei Ashtarak
stießen.
Ashtarak – bei diesem Namen werden sicherlich die 05-Fans
aufhorchen, denn gegen diesen Club ging es ja bekanntlich vor 12
Jahren im Europapokal. Die Statuten der UEFA ließen es damals nicht
zu, dass Mika Ashtarak zu Hause gegen Mainz antreten durfte, sondern
in einem Stadion der Hauptstadt spielen musste. Herrlich auf einer
Hochebene gelegen, von zwei Seiten von Schneebergen begrenzt, sah
Ashtarak sehr einladend aus. Ich war wirklich hocherfreut, das
Städtchen nach so langer Zeit dann doch noch zu Gesicht zu bekommen,
schafften wir es damals aufgrund der Kürze des Aufenthalts nur kurz
raus in die unmittelbare Umgebung von Erevan.
Wir passierten Ashtarak
auf der Autobahn und stellten fest, dass armenische Verkehrspolitiker
den Autofahrern mehr zutrauen, als es bei uns in Deutschland der Fall
ist. Dass eine Baustelle, das Wechseln der Fahrbahn auf die
Gegenseite notwendig macht, ist klar. In Armenien wird das auch
praktiziert, aber es wird überhaupt nicht abgesperrt. Man holpert
zwischen den Enden der Mittelleitplanke auf die Gegenfahrbahn und
fährt dann sozusagen als Geisterfahrer weiter gerade aus. Das fühlte
sich wirklich extrem komisch an, da natürlich Autos
entgegenrauschten und auf der eigenen Fahrbahn kein Fahrzeug in
Sichtweite war – zum Glück aber auch kein entgegenkommendes Auto.
Ein paar hundert Meter später erblickte ich dann zu meiner
Beruhigung tatsächlich ein vorausfahrendes Auto auf meiner Spur, das
in die gleiche Richtung fuhr – alles gut.
Das Navi peilte für die
178 km lange Strecke nach Haghpat in Nordarmenien ca. 2h40 an. Dass
dieser Wert sich nicht halten ließ, wussten wir nicht nur aufgrund
der Irrwege am Anfang in Erewan, sondern auch aufgrund der ständigen
Veränderungen der Straße. Sie war meist akzeptabel, aber dann so
steil dass man kaum auf die möglichen 90 km/h Höchstgeschwindigkeit
kam, dann war sie relativ flach, wusste aber in regelmäßigen
Abständen durch Schlaglöcher zu „begeistern“, so dass ich mich
nicht traute, tatsächlich mal Gas zu geben. Alles in allem kamen wir
aber mit rund 60 km pro Stunde die ersten zwei Stunden doch gut voran
bis nach Wanadzor. Dort verfuhren wir uns erstmal wieder, da das Navi
einfach nur „nehmen sie die Autobahn“ befahl, statt mal
anzusagen, ob es nach links oder rechts auf der vierspurigen Straße
– von Autobahn zu sprechen wäre lachhaft gewesen – weiterging.
Dann erstmal der nächste Schreck, da wir ja irgendwie zurück auf
die alte Route mussten: Kreisverkehr!
Eigentlich ja kein
Problem, aber in Armenien herrschen ganz offiziell andere
Verkehrsregeln für Kreisverkehre: Vorfahrt hat der einfahrende
Verkehr! Darauf muss man erstmal kommen, wenn die Fahrbahnmarkierung
aufgrund von Schlaglöchern fehlt. Das Reinfahren war natürlich kein
Problem, schließlich hatten wir ja Vorfahrt, ohne es zu wissen, aber
es kam halt auch gerade kein Auto. Das änderte sich natürlich an
der nächsten Einfahrt und zum Glück war es einer dieser Megakreisel
mit mehreren Spuren, die natürlich nicht zu sehen waren, und das
Auto links vor mir hielt doch tatsächlich an. Nachmachen ist
manchmal so richtig gut – ersparte es uns womöglich einen Unfall.
Der Vorteil von Kreisverkehren besteht darin, dass man so recht
schnell wieder auf die alte Strecke gelangt, wenn man sich zuvor
verfahren hat. Aber das vermeintliche Glück wendete sich erneut in
Pech, denn wir fuhren nun in einen Stau, etwas, was es außerhalb von
Erewan sonst sicherlich nie gibt, denn das Verkehrsaufkommen auf
Armeniens Straßen ähnelt dem einer Kreisstraße in Rheinhessen um
Mitternacht.
Wir befanden uns ziemlich
am Anfang des Staus und merkten recht schnell, dass es sich um eine
weitere Baustelle handelte. Auf der Gegenfahrbahn kam uns kein Auto
entgegen und man sah nur Baumaschinen, die die gesamte Fahrbahn
einnahmen. Ich nahm an, dass die Bauarbeiter einfach mal kurz die
Straße sperrten, um die Baumaschinen zu bewegen und war recht
entspannt, im Gegensatz zu einem armenischen Fahrer, der uns alle
links überholte, vor der ersten Baumaschine aus dem Wagen sprang und
wild gestikulierend auf die Bauarbeiter einredete. Normalerweise
bringt so etwas eigentlich ja so rein gar nichts, aber nach ein paar
Minuten Gebrüll, wurden die Maschinen tatsächlich zur Seite
gefahren und wir konnten in die Baustelle hineinfahren. Die Straße,
die schon teilweise frisch geteert war, befand sich aber an den
meisten Stellen der nächsten Kilometer in einem erbärmlichen
Zustand, da der alte Belag abgefräst war, es immer noch regnete und
somit alles verschlammt war, und teilweise die Straße als solche gar
nicht mehr zu erkennen war.
Der Verkehr dünnte sich
mehr und mehr aus – es kam uns praktisch kein Auto mehr entgegen.
Vor einer Tankstelle befand sich schließlich ein großes Loch –
zum Glück wurde die Straße einfach zwischen den Zapfsäulen
umgeleitet. Wir dachten schon, die Straße sei gesperrt… Dass dies
kein Irrglaube war, stellte sich dann einige Rumpelkilometer später
heraus. Das runde Schild mit dem roten Ring auf weißem Grund wurde
zum Glück noch durch einen weißen Pfeil auf blauem Grund ergänzt,
der auf ein kleines Sträßchen nach rechts zeigte. Wir dachten erst,
das sei eine kleine Umleitung, doch die Straße machte einen Bogen
nach rechts aus dem Tal heraus, dem wir seit Wanadzor folgten in
Richtung eines Seitentals.
Daher wendeten wir, denn
auch das Navi quäkte permanent „wenn möglich bitte wenden“.
Glücklicherweise trafen wir im strömenden Regen auf einen Fußgänger
und konnten mit Handzeichen fragen, welches die Route nach Alaverdi,
der nächst größeren Stadt, sei. Er machte ebenfalls
Handbewegungen, die erahnen ließen, dass wir leider wieder wenden
und tatsächlich dem kleinen Sträßchen folgen mussten. Das
Angenehme an der Straße war ihr Zustand: klein aber fein. Die
vorangegangenen 20 km waren wir ja auf dieser Mega-Baustelle
unterwegs gewesen und jetzt ging es plötzlich auf glatter Fahrbahn
entlang, immer weiter weg von unserem Tagesziel. Denn das war das
Schlechte an der Situation: erst plärrte die Stimme des Navis immer
noch „wenn möglich bitte wenden“. Dann sollten wir einige
Kilometer geradeaus fahren, um dann doch schließlich zu wenden und
das im Dauerregen bei einsetzender Dämmerung. Wir hatten die Wahl:
zurück nach Wandazsor fahren und dort die Nacht zu verbringen oder
die gute, kleine Straße aus dem Seitental bergan zu fahren. Wir
entschieden uns für die zweite Möglichkeit. Die angepeilte
Ankunftszeit verschob sich minütlich um Viertelstunden. Plötzlich
krächzte es endlich „Folgen Sie der Route für 2 km“ und man
konnte erkennen, dass in der Karte des Navis tatsächlich kein Wenden
mehr eingeplant war. Es ging voran in ein Bergdorf, das total
ausgestorben war. Straßenschilder gab es auch nicht und wir
verließen das Dorf auf einer Piste, wie ich sie in zuletzt in Costa
Rica gesehen habe. Die wenigen Autos, die wir in den letzten Stunden
sahen, waren auch fast alles Lada Niva Geländewagen – kein Wunder
bei diesen Pisten, und ja, in Costa Rica waren wir auch mit einem
Geländewagen genau deshalb unterwegs.
Wo es hinauf geht, muss es
auch irgendwann wieder herunter gehen – im Schritttempo, Serpentine
für Serpentine in einem Gebirgsbach alias Straße. Die Teerstücke
sahen aus, als ob sie von einem Riesen einfach so herausgebrochen
wurden und es bestand permanent die Gefahr mit dem höhergelegten
Auto trotzdem an irgendeiner dieser Abbruckkanten aufzusetzen. In
einem weiteren Seitental angekommen, stand auf einem rostigen
Kontainer etwas auf Russisch mit einer Spraydose gesprüht, was
eventuell „Alaverdi“ heißen konnte. Der Pfeil führte
glücklicherweise, genauso wie das Navi, und mein Orientierungssinn
in die gleiche Richtung nach links. Die Straße wurde nicht wirklich
besser, aber das bereitete mir wesentlich weniger Sorgen, als die
Steine und Felsstücke, die ab und zu so auf der Straße herumlagen.
Was passiert eigentlich, wenn so ein Ding gerade herunterbricht, wenn
wir unter der Felswand entlangfahren? Zum Glück musste ich mich viel
zu sehr auf die Schlaglochseen, Steine und einmal auch auf einen
rostigen Nagel konzentrieren, der einfach so auf der Fahrbahndecke
nach oben zeigte, als mir weiter darüber Gedanken zu machen.
Irgendwann erreichten wir
wieder das Haupttal und ein Lada kam uns entgegen und der Fahrer
machte Zeichen, stehen zu bleiben. Während ich in Mittelamerika in
so einer Situation lieber das Gaspedal bis zum Boden durchtrete,
entschloss ich mich hier tatsächlich zu halten, gelten doch die
Staaten des Kaukasus als sehr sicher. Überfälle auf Autos sind
nahezu komplett unbekannt und man konnte unser Auto auch gar nicht
als Mietwagen identifizieren. Das war dann wohl auch der Grund, warum
wir angehalten wurden. Der Fahrer konnte natürlich kein Englisch,
wollte wohl aber nach dem Weg zu einem mir unbekannten Ort fragen und
erwähnte das international wohl wirklich einheitliche Wort „Tunnel“.
Oh Gott, wenn jetzt auf der Strecke noch ein Tunnel zu passieren
wäre, der vielleicht aufgrund eines Felsrutsches gesperrt war,
dachte ich mir. Ich konnte dem armen Mann nicht weiterhelfen,
versuchte zu gestikulieren, dass man, wenn man in einigen Kilometern
links abbog über diese kleine Straße über den Berg wieder auf
diese Hauptstraße gelangte. Keine Ahnung, ob ihm das weiterhalf.
Wahrscheinlich war er genauso schlau wie zuvor, ich war aber
tatsächlich beunruhigt, aufgrund des Worts „Tunnel“.
Im weiteren Verlauf der
Straße kam uns tatsächlich kein Auto entgegen und ich machte mich
schon darauf gefasst, dass hinter der nächsten Kurve tatsächlich
die Straße an einem Tunnel endete. Stattdessen sahen wir irgendwann
die ersten Lichter von Alaverdi und wenig später befanden wir uns
auch schon auf dem kleinen Serpentinensträßchen in das Bergdorf
Haghpat, in dem unser Navi, uns nochmals einen kleinen Streich
spielte, in dem es irgendwie auf direktem Weg ein enges Gässchen zu
unserer Unterkunft nehmen wollte. Diese befand sich zum Glück neben
dem von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten Kloster, so dass wir
einfach auf der Hauptstraße blieben und dann auf einem Platz
ankamen. Das Kloster war angetrahlt, der Rest des Kaffs war dunkel,
inklusive unserer Unterkunft.
Es war erst halb acht Uhr
abends, aber wirklich alles bis auf das Kloster stockfinster. Ich
konnte aber zum Glück noch ein paar Gestalten ausmachen, stieg aus
und fragte, ob es sich hier um das Haghpat Hotel handelte. „Yes“
war die erlösende Antwort. Der Begriff „Hotel“ ist ja recht
schwammig. Wenn es aber nur einen Raum und fünf Zimmer gibt, die
alte Dame und der zahnlose Herr, der mich an Louis de Funes
erinnerte, die einzigen Mitarbeiter waren, dann würde der Name
Homestay die Unterkunft schon besser beschreiben.
Weiter oben habe ich ja
das Internet wegen der Möglichkeit gelobt, dass lokale Agenturen
weltweit ihre Dienstleistungen anbieten können. Eine weitere
Möglichkeit des Internets sind ja die beliebten Hotelbewertungen. Es
soll bekanntlich Leute geben, die stundenlang Hotelbewertungen lesen
oder abgeben. Früher nahm ich an, dass die Eigentümer sich
teilweise ihre Bewertungen vielleicht selbst schreiben – natürlich
nur die guten. Das stimmt wohl so nicht wirklich und bei unserem
alten Pärchen bestimmt nicht, schließlich konnten sie kaum
Englisch, geschweige denn Deutsch etc. Die Bewertungen waren
eigentlich durchweg positiv und die Alten waren auch tatsächlich
sehr herzlich und nett. Allerdings regnete es immer noch und es war
ziemlich kalt. Das störte uns in der ersten Nacht noch nicht
wirklich, aber die zwei folgenden Nächte waren einfach unangenehm
und anstrengend. Die euphorischen Bewertungen das Bad betreffend
konnte ich noch halbwegs nachvollziehen: es war sauber, groß und
warmes Wasser gab es in der ersten Nacht auch noch. Dass die
Klospülung nicht automatisch funktionierte und man immer den
Wasserkasten öffnen musste, an dem Styropor-Ding herumspielen
musste, damit das Wasser reinlief – geschenkt, dass man den Kasten
irgendwann auch öffnen musste, damit das Wasser nicht einfach
durchfloss – in vielen Teilen der Welt auch normal, also so what?!
Dass aber einer schrieb, das Hotel könnte es mit einem
Vier-Sterne-Ding in der Erewan aufnehmen, fand ich dann doch mit den
größten Quatsch, den man in Bezug auf diese Location verfassen
konnte. Spätestens dann, als es überhaupt kein Wasser mehr gab (das
dann eine Stunde später wieder kam) und natürlich der Strom
auch noch regelmäßig ausfiel. All das ist für mich Alltag in
vielen Ländern der Welt. Aber die Kälte und die fehlende
Möglichkeit, tatsächlich Abhilfe zu schaffen war einfach ätzend:
Heizungen waren Fehlanzeige. Bei der mobilen Elektroheizug, die wir
in der letzten Nacht erhielten, steckten wir den Stecker in die
Steckdose mit dem Resultat, dass wenig später die Sicherung
rausflog. Auch die Matraze, bei der man jede einzelne Feder am Morgen
als temporäres Tatoo mit sich trug, war einfach schlecht. Da fragte
ich mich schon, was solche Bewertungen eigentlich bringen. Klar, im
Sommer braucht man keine Heizung, aber Matratzen sind ja das A und O
einer Übernachtung. Schließlich verbringt man darauf ja dann doch
oft ein Drittel seiner Reise. Wir hätten vielleicht mangels
Alternative trotzdem in diesem Hotel übernachtet, aber dass dieses
so enthusiastisch in den komplett wolkenverhangenen Himmel von
Haghpat gelobt hat, zeigt mir dann doch, dass Bewertungen im Internet
einfach mit Vorsicht zu genießen sind.
Ebenfalls gut bewertet
wurden unsere Führer von Alaverdiguides. 25 zum Teil sehr gut
englisch sprechende junge Armenierinnen und Armenier möchten
Reisenden ihre Region zu Fuß vorstellen. Dazu bieten sie Halb- und
Ganztageswanderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade an. Obwohl
das Wetter nicht so recht mitspielte war der Aufenthalt dank der
Guides in Haghpat wirklich wunderbar. Auf alten Fußwegen ging es vom
Kloster Sanahin zurück zu unserem Kloster in Haghpat. Theoretisch
wären wir noch in ein weiteres Bergdorf gelaufen – aber es regnete
dann doch zu stark und im Nachhinein bin ich froh, diese Tour
abgebrochen zu haben, denn in der Nacht taten sich Magen und Darm
zusammen, um mich auf Trab zu halten, indem ich des mehrmals den
Wasserkasten herumschieben musste. Komplett platt stellte sich für
mich am nächsten Morgen die Frage, Bett oder Basilika? Schließlich
wollten wir von einer alten Basilika unterhalb einer Felskante mit
unserem Guide durch einen Canyon wandern. Ich entschied mich darauf
zu vertrauen, dass die drei Marmeladebrote im Magen blieben und mir
genug Kraft gaben, den Walk durchzuhalten. Dies gelang schließlich
mit Ach und Krach. Es war schon interessant zu sehen, wie der Körper
innerhalb einer Nacht komplett abbauen und für mich eine relativ
einfache 9 km Wanderung zur absoluten Herausforderung werden kann. Am
Ende der Wanderung wurden wir von einer alten Frau angesprochen.
Daviet, unser Guide, kannte sie nicht, konnte uns aber übersetzen,
dass sie uns auf einen armenischen Kaffee einladen wollte. Das war
bereits die zweite Kaffeeeinladung, nachdem wir beim
Müllsammelsonntag schon diesen herrlich starken Kaffee, bei dem der
Satz in der Tasse verbleibt, gratis genießen durften. Auf der
heutigen Wanderung bekamen wir von einem Schafhirten Walnüsse
geschenkt und die alte Dame toppte alles, denn natürlich blieb es
nicht beim Kaffee. Baklava-Gebäck und eingelegte grüne Walnüsse
wurden zum Nachmittagskaffee gereicht. Die Gastfreundschaft der
armenischen Bevölkerung war tatsächlich umwerfend und natürlich
hätten wir für den Kaffee auch etwas bezahlt, das wäre allerdings
als unhöflich angesehen worden.
Am nächsten Tag spielten
sowohl das Wetter als auch der Magen und der Darm wieder mit, so dass
es mit dem Auto wieder auf Abenteuer durch Armenien gehen konnte. Bis
Wanadzor sollte es eigentlich die gleiche Strecke zurückgehen, aber
natürlich informierten wir uns vorher und erfuhren so, dass die
Straße eigentlich für zwei Jahre (!) gesperrt sei, da u.a. der
Tunnel (aha!) erneuert wurde und eine großräumige Umleitung
eingerichtet sei. Das war auch in der jetzt zu nehmenden
Fahrtrichtung tatsächlich entsprechend mit einem Schild angegeben.
Leider fehlte dieses auf der Hinfahrt. So aber verlief die
Weiterfahrt nach Dilijan komplett ereignislos. Statt der avisierten 2
Stunden, fuhren wir zweieinhalb Stunden aber das ist ja kein
Vergleich zu den sechs Stunden, die wir von Erevan statt der
zweidreiviertel Stunden brauchten. Bevor wir losfuhren, bekamen wir
von der alten Dame unseres Homestays noch Socken zum Abschied
geschenkt – weil wir so viel gefroren haben. Versteht mich bitte
nicht falsch: Ich mochte den Aufenthalt trotzdem, das Menschliche in
dieser Herberge wurde wirklich groß geschrieben. Ich hatte vielmehr
den Eindruck, dass die beiden alten Menschen so zunehmend ihre
Schwierigkeiten hatten, das Hotel so zu leiten, dass es nicht
verkommt. Auch wenn sie nur fünf Zimmer hatten – Madame hat
abends für alle gekocht, morgens Frühstück gemacht und natürlich
müssen die Zimmer in Stand gehalten werden. Mich haben halt nur die
extrem positiven Bewertungen gewundert. Natürlich bat die Dame auch
eindringlich darum, dass wir ihr Hotel positiv bewerten. Und diesem
Wunsch sind wahrscheinlich die meisten Gäste nachgekommen –
sicherlich auch ein bisschen aus Dankbarkeit.
In Dilijan angekommen,
wurden wir von unserem nächsten Hoteleigentümer mit einer mächtigen
Alkohohlfahne begrüßt. Dass er darauf bestand, sofort bei der
Ankunft zu zahlen, wir aber nicht genug Cash dabei hatten und somit
mit der Kreditkarte versuchten zu zahlen, ließen den ersten Eindruck
etwas ins Negative abgleiten. Es blieb beim Versuch mit der Karte zu
zahlen, denn erstens wollte er nur die Hälfte mit der Karte haben,
dann war er so ungeduldig, da das Lesegerät „Please Wait“
anzeigte, er aber statt zu warten, dieses auf den Tisch schlug und
dieses in alle Einzelteile zersprang. Es quälte aber noch einen
Beleg raus auf dem „Approved“ stand. Er behauptete aber
felsenfest, dass der Betrag nicht abgebucht wurde. Zum Glück ging es
nicht um große Beträge (ca. 34 €), aber genervt war ich trotzdem. Und natürlich wurde mir der Betrag abgebucht. Aktuell versucht das Hotel mir den Betrag wieder zurückzutransferieren - Ausgang offen...und die Bank möchte den Betrag auch nicht erstatten, obwohl ich den Beleg nicht unterschrieben habe...
Wir fuhren zum nächsten
Geldautomaten holten das Geld und konnten dann im Casanova Inn,
erstmal entspannen. Jede Tür ziehrte eine venezianische
Karnevalsmaske und der große Aufenthaltsraum war beheizt – juhu!
Auftauen, aufwärmen und sich von der Kälte Haghpats erholen. Anders als viele Städte
Armeniens, die aus hässlichen grauen heruntergekommenen
Plattenbauten bestehen, gab es in Dilijan vereinzelt sehr hübsche
Häuser. Der Ort war schon in der Sowjetunion als Touristen-Ziel und
Kurort bekannt, vielleicht wurde daher ein bisschen mehr auf eine
ansprechende Bausubstanz geachtet. Kulinarisch war Dilijan auch
wieder ein Paradies, sogar für Vegetarier. Überall im Kaukasus
erhalten diese Salate, viel Gemüse, Kartoffeln und leckeres frisches
Brot. Sogar Urgetreide wie Emmer findet den Weg auf die Speisekarte.
Während wir in Haghpat mangels Alternative drei Nächte Homecooking
erlebten, was leider für Vegetarier etwas öde, aber wenigstens satt
machend war, gibt es in Dilijan tatsächlich eine große
Restaurantszene. Noch schöner war allerdings die umgebende Natur mit
ihren Blumenwiesen, Nadelwäldern, Schneebergen und was in Armenien
natürlich nicht fehlen darf: Klöstern.
Zurück in die Hauptstadt
Erevan führte die Reise am tiefblauen Sevan-See auf ca. 2.000 Metern
entlang. Hinter einer Biegung der Autobahn ragte dann plötzlich der
Berg Ararat der über 5.000 Meter hoch ist, hinter der
Millionenmetropole Erewan hervor. Ein erhebender Anblick und ein
wunderbarer Abschluss dieser Reise durch ein faszinierendes Land mit
herrlicher Natur, imposanten Klöstern und sehr sehr freundlichen
Bewohnern. Ich hoffe nicht, dass es wieder zwölf Jahre dauert, um
diesem wunderbaren Land, den nächsten Besuch abzustatten.
In disem Sinne - rot weiße Grüße und einen guten Start in die nächste Woche!
Christoph
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